Shutdown
Kaffee auf.«
Als Jen sich auf der Veranda im Schatten niederließ, fiel ihr Blick auf die Zeitung, die auf der Bank lag. Ein Windstoss hatte sie wohl umgeblättert, sodass ihr das alte Foto von Jennifer Walker wie eine stumme Anklage entgegen starrte. »Hat diese Frau Kalifornien den Krieg erklärt?«, stand in fetten Buchstaben darüber. Wie in Trance griff sie zum Blatt und begann zu lesen. Es war eine der Zeitungen, die Dons Strohmännern gehörten. Nun kannte man also ihre Identität. Das Fragezeichen in der Überschrift konnte nur ironisch gemeint sein. Mit jedem Satz des Artikels verblasste es mehr, bis es ganz verschwand und kein Leser mehr zweifelte, dass Jennifer Walker die gesuchte Cyberterroristin war. Sie galt als der Kopf einer Bande, die den Milliarden teuren Blackout verursacht hatte, und jeder anständige Bürger hatte die Pflicht, bei der Suche nach ihr zu helfen. Über die drei Spalten des Berichts mutierte sie von der unbekannten Programmiererin zur meist gesuchten Terroristin. Sie las den gefährlichen Irrsinn zweimal, während sie mit einem Ohr den Erinnerungen der alten Frau zuhörte. Die Gute redete gern und viel, sodass ihr die einseitige Konversation nicht weiter auffiel.
Jezzus fuhr immer noch denselben alten Pick-up. Beim ersten charakteristischen Rumpeln sprang sie auf und verabschiedete sich eilig von der Nachbarin. Bevor er aussteigen konnte, stand sie an der Autotür und zischte eindringlich:
»Mach jetzt keinen Fehler! Ich bin Jerry Waller, verstanden?«
»Antonio, dein Freund Jerry ist da«, rief das Echo aus dem Holunderbusch.
»Danke, Mrs. Steiger.«
Jezzus betrachtete Jen kopfschüttelnd, dann sprang er grinsend aus dem Auto und begrüßte seinen alten Freund Jerry mit dem Ritual aus der Fabrik.
»Du hast Nerven«, sagte er leise, als sie ins Haus gingen. »Hast du die Zeitung gelesen?«
»Mrs. Steiger war so freundlich. Der ganze Bericht ist eine ...«
»Einzige Lüge, schon klar, kann aber ins Auge gehen. Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«
»Kein Schwein interessiert sich für Jerry Waller.«
Er lachte bitter auf. »Na, wenn das so ist, können wir ja ganz beruhigt sein. Das haben wir alles dem verdammten ›Plug‹ zu verdanken.«
»Glaube ich nicht. Warrior wusste die ganze Zeit über uns Bescheid.«
Er musterte sie mit fragendem Blick.
»Hast du Kalorien im Haus?«
»Jerry, du erinnerst mich sehr an meine alte Freundin Jen«, grinste er. »Toast, Schinken und Ei sollten noch da sein, oder ich kann dir ein paar Pfannkuchen backen mit süßen Kohlenhydraten.«
Während das späte Frühstück in der Pfanne brutzelte, erzählte sie ihm von warrior und den abgefangenen Mails aus dem ›Office P‹.
»Whistleblower«, murmelte er nachdenklich.
»Eben. Der Name der Operation, die warrior unbedingt starten wollte, kann kein Zufall sein. Die ›Black Hats‹ wussten von Jim Wards Auftrag an uns, soviel steht für mich fest. Die wissen zwar nicht, wer wir sind, aber ...«
»Aber vielleicht bald«, warf er ein.
Sie schob den letzten Bissen des Pfannkuchens in den Mund. Gleichzeitig goss sie großzügig Ahornsirup über den Nächsten.
»Wie meinst du das?«, fragte sie kauend.
»Es gab eine Razzia in der Fabrik.«
»Scheiße – im Ernst?«
»Über so etwas mache ich keine Witze.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Operation Whistleblower. Vielleicht ist das gemeint. Sie legen falsche Spuren, um Polizei und FBI auf uns zu hetzen.«
»Schneiders Psychos in Berkeley wäre so etwas ohne Weiteres zuzutrauen.«
»Oder dem Don und seinen Sklaven.«
»Stimmt. ›Office P‹ hat das Konzept erstellt und leitet das Projekt Shutdown, aber Auftrag und Geld stammen wahrscheinlich von ›TNC‹. Bloß kann das niemand beweisen.«
Ein Gedanke drängte sich in den Vordergrund, der sie seit Santa Fe nicht mehr losließ.
»Ich muss in die ›Trusted News‹ Zentrale«, sagte sie.
Jezzus stutzte, dann lachte er laut auf. »Guter Witz. Du triffst dich mit dem Don und verlangst Akteneinsicht. Brillant, aber du solltest nicht vergessen, dass du zuoberst auf der Fahndungsliste stehst.«
»Falsch. Jennifer Walker steht auf der Liste, nicht dein alter Freund Jerry Waller.«
»Fantastisch. Du willst doch nicht wirklich mitten in San Francisco in Dons Medienzentrale herumschnüffeln?«
»Hast du eine bessere Idee?«
Er sprang auf und begann, den Tisch abzuräumen. »Ich fasse es nicht«, brummte er erregt.
Es war eine Frage von Freiheit oder Gefangenschaft
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