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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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dagegen haben. Sie brauchen mich nicht vor Flagstaff zu wecken. Wenn ich Bullen rieche, muss ich sowieso kotzen. Wäre schade um Ihren schönen Truck.«
    Der Fahrer war ein ordentlicher Mensch. Seine Koje sah alarmierend aufgeräumt aus. Unmöglich, sich da zu verstecken, falls es den Cops einfiele, hinter den Vorhang zu blicken. Der Lkw hielt an.
    »Ihre Papiere.«
    Den Spruch hatte sie vor Kurzem in ähnlicher Form und gleich unfreundlich schon einmal gehört. Er wurde allmählich zur Gewohnheit. Auch die Fragen, die folgten. Schweißtropfen rannen ihr in die Augen, doch sie wagte keine Hand zu rühren.
    »Suchen Sie jemanden?«, fragte der Trucker naiv.
    »Wonach sieht’s denn aus? Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?«
    Eine Pause entstand, die nicht enden wollte in Jens verzerrter Raumzeit. Dann endlich hörte sie die erlösende Antwort:
    »Nie gesehen.«
    Sie atmete auf, aber der Cop war noch nicht fertig.
    »Schieben Sie mal den Vorhang zur Seite.«
    Es war soweit. Sekunden noch, dann wäre ihre Flucht zu Ende. Mit einem Mal beruhigte sie sich. Sie gab sich keine Mühe mehr, nach einer allerletzten Fluchtmöglichkeit zu suchen. Sie schaltete ab, dachte gar nichts mehr. Automatisch zog sie die sauber auf der Pritsche gestapelten Kleider über sich, vergrub das Gesicht in den Händen und wartete auf den Befehl des Cops. Stimmengewirr, vereinzelte Rufe, Motorenlärm drangen von draußen ins Fahrerhaus. Für kurze Zeit glaubte sie, einen Hubschrauber knattern zu hören, aber der Befehl ließ auf sich warten.
    »Was ist, wollen Sie mein Zeug sehen oder nicht?«, fragte der Trucker.
    »Sie können weiterfahren. Gute Fahrt.«
    Jen glaubte, aus einem Albtraum zu erwachen. Sie wagte sich nicht zu rühren, bis der Lkw Fahrt aufgenommen hatte. Sorgsam schob sie die Kleider wieder an ihren Platz, kletterte auf den Beifahrersitz und rieb sich die Augen.
    »Habe ich etwas verpasst?«
    »Einen attraktiven Blondschopf in Uniform«, lachte der Fahrer.
     
    Flagstaff, Arizona
     
    Die bewaldeten Hügel vor den Ausläufern der Rockies in der Ferne erinnerten Jen ein wenig an den Anfang ihrer Odyssee am Lake Tahoe. Flagstaff war eher ein Dorf als eine Stadt, ein harmloser Magnet für Touristen aus dem stickigen Unterland, gespickt mit Holzhäuschen wie zu Zeiten Wyatt Earps. Aber das Provinznest besaß einen Flughafen, auf dem man schnell nach Phoenix und damit in die Welt hinaus abheben konnte, wenn man wollte oder musste. Ihr Versteckspiel mit den Cops hatte den Trucker so sehr beeindruckt, dass er ihr seine Fischerweste und den Schlapphut für einen symbolischen Dollar überließ, als sie aus einer spontanen Laune danach fragte.
    »Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wozu Sie die alten Sachen brauchen«, hatte er gesagt, »aber Sie müssen wissen, dass diese Weste nicht hilft beim Fliegenfischen. Ich hab's versucht.«
    Sie hatte kein Problem damit. Fisch mochte sie sowieso nicht, viel zu aufwendig für die paar Kalorien. Sie hielt verstohlen Ausschau nach Uniformierten und verdächtigen Autos auf dem Parkplatz, bevor sie das Flughafengebäude betrat. Sofort zog sie sich in die Toilette zurück, stellte sich vor den Spiegel und betrachtete sich eingehend. Müde und etwas zerzaust zwar, aber unverkennbar Jen war es, die ihr entgegenblickte. Ein Problem, das sie jetzt lösen musste. Sie durfte nicht länger auf die miserable Qualität des Phantombilds vertrauen. Eher früher als später würde der Polizeiapparat auch ihren Namen erfahren. Der Schluss lag nahe: Jennifer Walker musste sterben. Wenigstens so lang, bis der Fall gelöst war. Sie suchte den Führerausweis in der Tasche, den ihr Jezzus einst für einen Job angefertigt hatte. Abwechselnd betrachtete sie das Foto auf dem Plastikkärtchen und ihr Spiegelbild. Nach einer Weile rümpfte sie die Nase. Der Ausweis lautete auf den Namen Jerry Waller und das Foto zeigte das Gesicht eines jungen Mannes mit ihren Gesichtszügen. Das war in Ordnung. Ihr androgyner Körper erlaubte ihr ohne Weiteres, als Frau oder Mann aufzutreten, schließlich war sie auch beides. Sie hatte sich zwar nie als Mann gefühlt, aber die Apparatur zwischen den Beinen war vollständig vorhanden, ebenso wie Vagina und Eierstöcke. Sie fragte sich manchmal, ob sie sich selbst befruchten könnte, hatte es aber bisher noch nie versucht. Testosteron und Östrogen hielten sich in ihrem Körper ungefähr die Waage, was sie glücklicherweise von dieser Art Lust befreite.
    Nein, das Gesicht war nicht der

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