Shutdown
scheint zu wirken«, stellte Jezzus nüchtern fest.
Sie nickte, half ihm, den letzten schweren Behälter auf die Pritsche zu hieven, dann setzten sie sich in den Wagen.
»Wir müssen uns dringend aus der Schusslinie nehmen«, sagte sie nachdenklich.
»Leichter gesagt als getan«, brummte er.
Nicht nur das. In Wahrheit steckten ihre Ermittlungen in einer Krise. Sie wähnte sich schon auf der Zielgeraden, glaubte, die ›Black Hats‹ noch am selben Tag enttarnen zu können, als sie plötzlich vor einer undurchdringlichen Wand stand. Sie brauchte Zugriff auf ältere Änderungsjournale der ›CGO‹-Server, doch die hatte sie nicht alle kopiert. Einfacher ausgedrückt, wie es auch Jezzus verstanden hatte: Sie war am Arsch ohne Online-Zugriff.
»Glaubst du, Linda kriegt das hin?«, fragte er.
»Hmm.«
Es war ihre Zeit für einsilbige Antworten. Sie konnte nur beten, ›CGO‹ möge irgendwann das Tor für eine Millisekunde öffnen. Das genügte Linda, um die Verbindung wieder herzustellen, glaubte sie. Schade nur, dass Gebete nichts nützten. Das wusste sie aus schmerzlicher Erfahrung.
Sie fanden Linda allein in der Fabrik. Sie tigerte aufgeregt vor ihren Bildschirmen hin und her. Kaum hatten sie die Tür geöffnet, rief sie ihnen zu:
»Ich bin drin!«
Jens Puls schnellte in die Höhe. Sie fühlte sich auf der Stelle federleicht, schwebte schwerelos zu ihrem Computer.
»Wie hast du das geschafft?«, fragte sie, während sie sich einloggte.
Linda lachte verschmitzt. »Ich erhielt eine Einladung. ›CGO‹ musste ihr Netz für die Jungs vom ›Cyber Command‹ öffnen. Da bin ich reingeschlüpft.«
Jezzus stutzte. »Willst du damit sagen, dass wir jetzt gemeinsam mit der ›NSA‹ in diesem Netz umherspazieren?«
»Sagen wir gleichzeitig«, grinste sie. »Fällt weniger auf.«
Jezzus schüttelte nur den Kopf. Selbst wenn er Lindas Zuversicht nicht teilen mochte, was blieb ihm anderes übrig, als ihren Künsten zu vertrauen? Jen ließ sich die Zugangsdaten geben.
»Wo ist eigentlich Emma?«, fragte sie. »Ich brauche sie hier.«
»Sie hilft Mike mit dem Generator.«
Jen stand schon an der Tür. In großen Sprüngen hetzte sie die Treppe hinunter zum Hinterausgang, neben dem ihr kleines Kraftwerk die Luft mit ätzendem Gestank und höllischem Lärm verpestete. Sie rannte in weitem Bogen um das Monstrum herum zur Garage, in der sie das Benzin lagerten. Das Tor stand einen Spalt offen. Sie streckte die Hand aus, um es aufzustoßen, da zuckte sie wie elektrisiert zurück. Sie roch Kampfer und – Mike? Der kurze Blick ins Halbdunkel genügte, sie gleichzeitig zu erschrecken und zum Lachen zu reizen. Emmas schwarze Gestalt lag zerknittert auf der Werkbank. Hinter ihr stand Mike mit heruntergelassener Hose und versetzte ihr heftige Stöße. Beide waren zu beschäftigt, um sie zu bemerken. Der unerwartete Anblick löste ein schmerzhaftes Kribbeln in ihr aus, das sie erst zwei-, dreimal gespürt hatte. Sie zog sich auf leisen Sohlen zurück, wartete ein paar Sekunden, bis sich ihr Herzschlag beruhigte, dann rief sie Emmas Namen so laut es ging.
Etwas rumpelte in der Garage, dann kam Emma mit rotem Kopf heraus. »Was schreist du denn so?«
»Wir sind drin. Ich brauche dich oben. Komm schon«, drängte Jen.
Mike und Emma – eine Beziehung, die sie weder ihrer Freundin noch Mike zugetraut hätte. Vielleicht war es keine Beziehung, nur Sex. Trotzdem. Die beiden passten überhaupt nicht zusammen, aber wer war sie, darüber zu urteilen. Wie lang ging das schon? Ob Linda davon wusste? Ärgerlich wischte sie die nutzlosen Gedanken beiseite. Es ging um unberechenbare Gefühle, Emotionen. Früher oder später breiteten sie sich in die untere Hälfte des Körpers aus, und dann wurde es gefährlich. Sie vermied die verbotene Zone konsequent, dass sie manchmal fürchtete, als geschlechtsloses Wesen geboren worden zu sein, obwohl genau das Gegenteil der Fall war.
Sie verdrängte die verstörenden Gedanken und tauchte mit Emma in die Tiefen des ›CGO‹-Systems hinab. Sie wussten beide, dass die Zeit gegen sie arbeitete. Je länger der Aufenthalt im fremden System, desto höher die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Sie schützten ihren Zugang zwar durch eine praktisch nicht zu knackende Verbindung über mehrere Proxyserver und virtuelle Netzwerke, aber ihr Gegner war nun die ›NSA‹, eine ganz andere Kategorie als die Fachleute des Grid Operators. Umso erstaunlicher für sie, dass ›CGO‹ das ›root‹ Passwort
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