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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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lassen, die trotz verwaschener Jeans und flacher Sandalen so gepflegt aussah, als käme sie direkt von einem Shooting. Jen konnte sich nicht erinnern, je so ein perfekt modelliertes und gleichzeitig einnehmendes Gesicht gesehen zu haben.
    »Willst du uns nicht vorstellen, Frank?«, sagte das Fabelwesen mit einem Lächeln, das jeden sofort anstecken musste, der es sah.
    Lächelnd folgte er ihrer Aufforderung: »Jen, das Computergenie – Rebecca, das Finanzgenie.«
    Jen trat vorsichtig auf die beiden zu. Sie streckte der Schönen die Hand entgegen. Die zog sie sanft zu sich. Ihre Gesichter näherten sich bedenklich. Sie will mich küssen! Das Blut schoss ihr in die Schläfen. Der Atem stockte aus Angst vor der Berührung. Sie riss sich los, strauchelte und knickte ein. Die ungestüme Reaktion trieb ihr die Schamröte ins Gesicht, aber es war ein Automatismus, ein Reflex, den ihr Bewusstsein nicht kontrollierte.
    Konsterniert sah Rebecca zu, wie Frank ihr die Hand reichte, um sie hochzuziehen.
    »Hast du dich verletzt?«, fragte er nur, als wäre sie zufällig gestolpert, wie das ganz normalen Menschen hin und wieder passiert.
    Nichts ist normal bei mir, verflucht noch mal , ärgerte sie sich. Frank wusste das. Rebecca musste es erst lernen. Sie lernte schnell. Ohne weitere Fragen zu stellen, bat sie die Gäste ins Haus.
    Ihr Arbeitszimmer stellte sich als eine Bibliothek mit tausend Comicheften und Sammelbänden heraus. Rebecca schien alles zu interessieren, was der Markt hergab, antike Spiderman-Ausgaben ebenso wie Mangas für ganz Erwachsene. Vielleicht war es auch nur eine Geldanlage. Kaum hatte sie sich umgesehen, klappte sie den Laptop auf, um das WLAN zu prüfen.
    »Wieso hast du zwei Netze?«, fragte sie nach kurzem Suchen.
    Sie erhielt keine Antwort. Rebecca und Frank hatten sich zurückgezogen. Sie fand die beiden leise plaudernd auf der Terrasse. Wahrscheinlich unterhielten sie sich über die seltsame Jen, denn die Unterhaltung stockte, sobald sie auftauchte.
    »Du hast zwei Netze.«
    »Sorry, war keine Absicht«, lachte Rebecca.
    »Seit wann? Was hast du zuletzt installiert?«
    Rebecca überlegte, begann zu erklären. Frank hörte kurz zu, dann unterbrach er:
    »Ich fürchte, das geht über meinen Horizont, meine Damen. Ich lass euch Freaks besser allein.« Er verabschiedete sich mit der Bemerkung: »Wenn du etwas brauchst, Jen, weißt du, wo du mich findest.«
    »Es wird ihr an nichts fehlen«, versicherte Rebecca lächelnd.
    Die Gastgeberin, der ungewohnte Luxus, die neuen Düfte verwirrten Jen. Nachdem Frank gegangen war, wähnte sie sich auf einem fremden Planeten, wo nichts so war, wie sie es erwartete. Das galt auch für die undurchsichtige Konfiguration von Rebeccas Computern. Sie brauchte sehr lange, geschlagene drei Stunden, bis die Systeme und das WLAN soweit in Ordnung waren, dass sie damit arbeiten konnte. Rebecca hielt sich im Hintergrund. Sie beantwortete die Fragen, sonst ließ sie ihren Gast in Ruhe, und Jen dankte ihr insgeheim dafür. Sie kauerte sich in der Bibliothek mit ihrem Laptop in den Ohrensessel wie ein Igel, dem die Umgebung nicht geheuer ist. Erst als die Verbindung zu Lindas Proxyserver zustande kam, entspannte sie sich. Sie war wieder online. Ihr digitales Beziehungsnetz existierte immer noch, und das Stromnetz funktionierte offenbar wieder, wie sie erst jetzt erstaunt bemerkte.
    Es klopfte leise an der Tür. Rebecca trat ein.
    »Ich gehe jetzt duschen und lege mich aufs Ohr. Muss morgen früh raus. Alles in Ordnung mit deinem Zimmer?«
    Jen wagte ein Lächeln. »Mit welchem?«
    »Du kannst es ja doch«, freute sich Rebecca. »Kühlschrank und Mikrowelle sind auch wieder in Betrieb, falls du Hunger hast.«
    »Danke.«
    Sie schien mehr zu erwarten, aber Jen wusste nicht, was sie noch sagen sollte.
    »Na dann – morgen hast du das Haus für dich. Ich komme erst spät zurück. Gute Nacht.«
    »Nacht.«
    Stunden später war sie soweit, dass sie die in der Fabrik so abrupt unterbrochene Arbeit fortsetzen konnte, doch beim Versuch, die Logs der Umspannwerke zu entziffern, fielen ihr die Augen zu. Nach zwei oder drei Ansätzen gab sie auf. War die Energie der Tacos verbrannt? Brauchte sie Kohlenhydrate oder Schlaf? Für die korrekte Antwort fehlte ihr das medizinische Gerät, also entschied sie nach dem Zufallsprinzip und wählte den Schlaf. Auf dem Weg zum Bad kam sie an Rebeccas Zimmer vorbei. Ihre Tür stand weit offen, wie eine Einladung. Jen war jetzt endlich bereit, mit ihr zu

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