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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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auf ihrer Zunge. Sie hörte und sah nicht, wie der Priester in die Kirche stürmte, entsetzt versuchte, den Teufel von ihr zu trennen. Als ihre Sinne aus dem Reich der Finsternis zurückkehrten, trug sie der Sheriff auf den Armen ins Pfarrhaus. Der Dämon lag gefesselt am Boden, rief die Muttergottes an und den Erzengel Michael und alle Heiligen und seinen Herrn Jesus Christus, und niemand antwortete. Seither hatte sie nie wieder etwas von ihrem Vater vernommen und auch nicht nach ihm gefragt.
    »Jen, alles in Ordnung?«, fragte die Stimme des Engels durch die Schlafzimmertür.
    Sie erhob sich ächzend. Noch immer am ganzen Körper zitternd antwortete sie mit schwacher Stimme: »Ja Rebecca, alles in Ordnung.«
    Es tat wohl, ihren Namen auszusprechen.
     
    San Quentin, Marin County, Kalifornien
     
    Er dankte dem Herrn, dass er diesen Tag erleben durfte. Er warf einen letzten Kontrollblick über die leeren Matratzen, das leere Gestell über dem Waschtrog, in alle Ecken und unter die Pritschen, bevor er sich mit dem Gesicht zur Tür mit seinem Bündel in der Hand aufstellte und wartete. Seit dem Aufstand hatte er die Zelle für sich, ein Luxus, den er seiner Intelligenz verdankte und seiner eisernen Disziplin. Als einer der Wenigen hatte er sich nicht am Ausbruch beteiligt wie die kurzsichtigen Dummköpfe, die er verachtete, weil sie dem erst besten Impuls folgten und ihre Triebe nicht kontrollierten wie die zuchtlosen Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten. Aber der Herr bestrafte sie grausam. Viele von ihnen kehrten nicht zurück, nicht weil sie entkamen, sondern weil sie ein Loch im Kopf hatten. Das Sichtfenster öffnete sich.
    »Adam Walker austreten!«, befahl der Neue.
    Der neue Wärter, dessen polnischen Namen er sich für die letzten paar Tage in San Quentin nicht mehr merken wollte, sperrte die Zellentür auf und ließ ihn austreten. Ein letztes Mal ging er an der endlosen Reihe der Zellen vorbei, stieg die Stahltreppe hinunter, folgte dem Wärter durch die Schleusen in den äußeren Bereich, wo die Privilegierten arbeiteten und die Administration. Er erkannte den Mann am Schalter kaum wieder. Alt und fett war er geworden in den zwölf Jahren, seit er ihm sein Kreuz und die Schlüssel und die paar Dollar hatte abgeben müssen. Der Dicke zog die verstaubte Schachtel mit seinem Namen aus dem Gestell, schob sie ihm hin und legte ein Formular dazu.
    »Überprüfen und hier unterschreiben.«
    Adam hängte sich das Kreuz um den Hals. Die übrigen Dinge aus der Schachtel warf er achtlos in seinen Sack. Er unterschrieb, ohne den Wisch zu lesen. Auf dem Weg zum Tor grüßte ihn der Alte aus der Wäscherei, so ziemlich der einzige Beamte, der ihn stets mit Respekt behandelt hatte.
    »Alles Gute, Priester«, sagte er und gab ihm die Hand zum Abschied.
    »Gott schütze dich.«
    Das waren seine letzten Worte in der Hölle. Er blickte nicht zurück, bis sich das Tor hinter ihm mit einem gequälten Seufzer schloss. Er schulterte den Sack mit den paar alten Kleidern, um nicht mit einem der gewöhnlichen Obdachlosen verwechselt zu werden. Obdachlos war er zwar im Moment auch, aber er lebte nicht ziellos in den Tag hinein. Er war unterwegs mit einem Auftrag. Die Außenwelt begann erst richtig beim Postamt. Dort verwandelte sich die kahle, staubige Main Street in eine freundliche Quartierstraße, gesäumt von Buschwerk, Familienkarossen und niedrigen Holzhäusern aller Farben und Formen. Vereinzelt unterhielten sich Frauen und alte Männer am Straßenrand, die ihn argwöhnisch beobachteten, genauso wie ihre Hunde. Er interessierte sich nicht für ihre heile Welt, schritt zügig aus im kühlen Morgenwind, um den Zellengeruch loszuwerden. Den Schnapsladen ließ er links liegen. Diese Phase hatte er nach zwölf Jahren Entzug endgültig hinter sich. Einzig in einem Coffeeshop leistete er sich einen wässrigen Kaffee, der wenigstens nicht nach Knast schmeckte. Wahrscheinlich war auch der Becher sauberer. Er fragte nach dem Bus Richtung Civic Center.
    Die Frau an der Theke lächelte verständnisvoll. »Sie wollen sicher zum Farmers Market.«
    »So, sieht man das?«
    »Ich dachte nur. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie auf einer Farm arbeiten. Es gibt immer wieder Männer, die auf dem Markt Arbeit suchen.«
    »Stimmt.«
    Er ließ offen, was er damit meinte.
    »Wenn Sie möchten, können Sie mit meinem Sohn mitfahren in einer halben Stunde. Der Bus fährt auch nicht früher.«
    Er nickte. »Sehr freundlich, danke.«
    Arbeit suchte

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