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Shutdown

Shutdown

Titel: Shutdown Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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reden, ihr für die großzügige Gastfreundschaft zu danken, wie es normale Menschen zu tun pflegten. Eine Weile stand sie unschlüssig unter der Tür. Die Schöne atmete regelmäßig, die Decke halb zurückgeschlagen, eine Brust entblößt. Sie schien tief zu schlafen. Nackt war diese unglaubliche Frau noch schöner, zarter, das sah sie selbst im Dämmerlicht. Diese schlafende Gestalt übte eine Anziehungskraft auf sie aus, der sie nicht widerstehen konnte. Sie kannte dieses Gefühl nicht, dem sie machtlos ausgeliefert war. Als führte sie eine unsichtbare Fee, trat sie leise ans Bett. Sie beugte sich über das Engelsgesicht und tat, was sie immer als Erstes tat, wenn sie etwas Neues entdeckte: Sie atmete tief ein, um sich den Geruch zu merken. Rebecca roch betörend, frisch, unverbraucht und doch geheimnisvoll, ein Geruch wie das helle, schillernde Blau der Bucht in der Mittagssonne. Jen vergaß die Zeit, vergaß, was sie vorhatte, stand einfach da, über das Wunder gebeugt, dem sie aus heiterem Himmel begegnet war, und konnte nicht glauben, dass ihr so etwas passierte.
    Rebecca schlug die Augen auf. Mit einem spitzen Schreckenslaut wich sie zurück. Sie starrte entsetzt auf die fremde Gestalt, bis sie Jen erkannte.
    »Jen«, flüsterte sie.
    Dabei umspielte das wärmste Lächeln ihre Lippen, das je ein Mensch für sie ausgestrahlt hatte seit dem frühen Tod ihrer Mutter. Sie blieb wie angewurzelt stehen, unfähig, sich zu rühren oder zu sprechen. Rebecca schlug die vor Schreck zerknüllte Decke ganz zurück und setzte sich auf. Sie deutete auf den freien Platz neben sich im Bett, das größer war als anderer Leute Schlafzimmer.
    »Setz dich her«, sagte sie, »möchtest du reden?«
    Der Bann fiel von ihr ab. Die Angst vor jeder Art Intimität kehrte mit einem Schlag zurück, mächtiger denn je. Von Panik ergriffen rannte sie hinaus.
    »Ich bin anders!«, rief sie entsetzt, als warnte sie vor einem Monster.
    Sie schloss sich in ihr Zimmer ein, verkroch sich in die dunkelste Ecke zwischen Bett und Schrank und begann unkontrolliert am ganzen Leib zu zittern. Ein eisiger Hauch wehte durchs Zimmer, wie damals, als der Dämon sie holte. Er stank süßlich nach Alkohol, wie stets in der Nacht.
    »Jetzt werden wir dir diesen Teufel austreiben!«, brüllte er mit der entsetzlichen Stimme des Leibhaftigen. Seine Pranke packte sie, riss sie hoch, dass sie den Boden unter den Füssen verlor. Fluchend und betend zugleich schleppte er sie durch die eisige Nacht über den Friedhof, am frischen Grab der Mutter vorbei zur Sakristei. Unter dem dünnen Hemd froren ihre Glieder ein, dass sie sie kaum mehr spürte. Die Zehen an den bloßen Füßen waren nur noch Eiszapfen, die zu brechen drohten, als er sie vor dem Altar zu Boden schleuderte. Sie schrie aus Leibeskräften, aber kaum ein Laut entrang sich ihrer Kehle. Sie war zu schwach, auch nur zu beten, geschweige denn, sich zu rühren. Die grauenhafte Fratze mit dem stinkenden Schlund des Dämons schwebte so dicht über ihrem Gesicht, dass sie glaubte, direkt in die Hölle zu blicken. Er zog sein eisernes Kreuz mit dem Gekreuzigten und der furchtbaren Dornenkrone aus der Tasche, drückte es ihr an die Lippen und seine Grabesstimme sagte die Wörter, von denen sie keines jemals wieder vergessen würde, solang sie noch zu leben hatte:
    »Im Namen Jesu Christi, unseres Gottes und Herrn, und durch die Fürsprache der unbefleckten Jungfrau und Gottesmutter Maria, des heiligen Erzengels Michael, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und aller Heiligen, gehe ich daran, die verfluchten Teufel auszutreiben.«
    Mit Abscheu zog er ihr Hemd hoch und starrte auf das Glied, das ihr der Teufel hatte wachsen lassen und das, starr vor Kälte wie alles an ihr, steif in die Höhe ragte wie Gottes mahnender Finger.
    »Was bist du, siebenmal verfluchter Dämon?«
    Ihr Schweigen trieb ihn vollends zur Raserei.
    »Sprich!«
    Das Eisen seines Kreuzes fuhr ihr zwischen die Lippen, drängte sich zwischen die Zähne. Die Dornenkrone kratzte an ihrem Gaumen, aber die einzigen Geräusche, die ihrem Mund und ihrer gemarterten Seele entwichen, waren leises Stöhnen und Husten. Sie würgte. Ihr Herz drohte aus der schmalen Brust zu springen, die Augen aus den Höhlen zu treten. Eine Hand schnürte ihre Kehle zu. Ihr wurde schwarz vor Augen. Nur verschwommen sah sie, wie seine andere Hand das Kreuz in die Flamme der Kerze hielt, festhielt, als wäre es kaltes Feuer. Dann spürte sie nur noch das glühende Eisen

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