Shutter Island
–«
»Mrs.«
»Mrs. Kearns. Entschuldigen Sie, aber Sie kommen mir, na ja, ziemlich normal vor.«
Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück, genauso lässig wie alle, die sie hier kennen gelernt hatten, und kicherte in sich hinein. »Als ich hierher kam, war das wohl anders. Du lieber Gott. Ich bin froh, dass sie keine Fotos gemacht haben. Meine Diagnose lautet manisch-depressiv, und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Ich habe immer wieder schwarze Tage. Hat wohl jeder. Der Unterschied ist, dass die meisten Leute nicht ihren Mann mit der Axt umbringen. Mir wurde gesagt, tief in mir säßen ungelöste Konflikte mit meinem Vater, und dem stimme ich ebenfalls zu. Ich glaube nicht, dass ich noch mal loslaufen und jemanden umbringen würde, aber man kann nie wissen.« Sie wies mit der Zigarette auf die beiden Männer. »Ich finde, wenn man ständig vom eigenen Mann geschlagen wird, der so gut wie alle Frauen vögelt, die ihm über den Weg laufen, und wenn einem keiner hilft, dann ist es gar nicht so abwegig, den Mann mit der Axt zu töten.«
Sie sah Teddy an, und etwas in ihren Augen – vielleicht die scheue Wankelmütigkeit eines Schulmädchens – brachte ihn zum Lachen.
»Was?«, fragte sie und lachte mit.
»Vielleicht sollten Sie doch besser nicht raus«, sagte er.
»Das sagen Sie, weil Sie ein Mann sind.«
»Da haben Sie verdammt noch mal Recht.«
»Na, dann kann ich’s Ihnen nicht verübeln.«
Nach dem Gespräch mit Peter Breene war es eine Wohltat zu lachen, und Teddy wusste nicht, ob er nicht sogar ein wenig flirtete. Mit einer Geisteskranken. Einer Axtmörderin. So weit ist es schon gekommen , Dolores . Aber er hatte kein schlechtes Gewissen, sondern das Gefühl, nach diesen beiden langen Jahren der Trauer durchaus das Recht auf ein harmloses Geplänkel zu haben.
»Was sollte ich denn machen, wenn ich herauskäme?«, fragte Bridget. »Ich weiß nicht mehr, was draußen so passiert. Bomben, hab ich gehört. Bomben, die ganze Städte in Schutt und Asche legen. Und das Fernsehen. So heißt das doch, oder? Ich habe gehört, dass jede Station eins bekommen soll, dann können wir Theaterstücke in diesem Kasten sehen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Stimmen, die aus einem Kasten kommen. Gesichter aus einem Kasten. Ich höre jeden Tag genug Stimmen und sehe genug Gesichter. Ich brauche nicht noch mehr Krach.«
»Können Sie uns etwas über Rachel Solando erzählen?«, fragte Chuck.
Sie hielt inne. Eigentlich war es eher ein Ruck, und Teddy sah, dass sich ihre Pupillen ein wenig nach oben verdrehten, als ob sie im Kopf nach der richtigen Schublade suchte. Er schrieb »sie lügt« auf seinen Notizblock und legte sofort die Hand darüber.
Bridget sprach langsam, es klang wie auswendig gelernt.
»Rachel ist ganz nett. Sie ist eine Einzelgängerin. Manchmal erzählt sie vom Regen, aber meistens sagt sie überhaupt nichts. Sie glaubt, dass ihre Kinder noch leben. Sie glaubt, dass sie immer noch in den Berkshires lebt und dass wir ihre Nachbarn, Postboten, Lieferanten und Milchmänner sind. Es war nicht einfach, Kontakt zu ihr zu bekommen.«
Bridget sprach mit gesenktem Kopf. Danach konnte sie Teddy nicht in die Augen sehen. Ihr Blick glitt von seinem Gesicht ab, sie musterte die Tischfläche und zündete sich die nächste Zigarette an.
Teddy dachte über ihre Antwort nach und bemerkte, dass sich die Beschreibung von Rachels Wahn fast wortwörtlich mit Cawleys Schilderung vom Vortag deckte.
»Wie lange ist sie schon hier?«
»Hm?«
»Rachel. Seit wann ist sie bei Ihnen auf Station B?«
»Drei Jahre? So ungefähr, glaube ich. Ich hab mein Zeitgefühl verloren. Passiert einem hier schnell.«
»Und wo war sie vorher?«, fragte Teddy.
»Ich glaube, auf Station C. Sie wurde verlegt, glaube ich.«
»Aber das wissen Sie nicht genau.«
»Nein, ich … Das vergisst man schnell.«
»Klar. War irgendwas ungewöhnlich, als Sie sie das letzte Mal gesehen haben?«
»Nein.«
»Das war in der Gruppe?«
»Was?«
»Als Sie sie das letzte Mal gesehen haben«, wiederholte Teddy, »war das in der Gruppentherapie vorgestern Abend?«
»Ja, ja.« Bridget nickte mehrmals und strich die Asche am Rand des Aschenbechers ab. »In der Gruppe.«
»Und Sie sind alle zusammen zurück zu Ihren Zimmern gegangen?«
»Ja, mit Mr. Ganton.«
»Wie hat sich Dr. Sheehan vorgestern Abend verhalten?«
Sie blickte auf, und in ihrem Gesicht standen Verwirrung und vielleicht sogar Angst. »Ich weiß nicht, was Sie
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