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Shutter Island

Titel: Shutter Island Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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feige. Wozu war das alles gut? Lebensmittel einkaufen, den Chrysler tanken, rasieren, Socken anziehen, Schlange stehen, Krawatte aussuchen, Hemden bügeln, Gesicht waschen, Haare kämmen, Schecks einlösen, Führerschein erneuern, Zeitung lesen, pinkeln gehen, essen – allein, immer allein –, ins Kino gehen, Schallplatte kaufen, Rechnungen bezahlen, wieder rasieren, wieder waschen, wieder schlafen, wieder aufwachen …
    Wozu war das gut, wenn ihn das alles nicht näher zu ihr brachte?
    Er wusste, dass er durchhalten musste. Darüber hinwegkommen musste. Es hinter sich lassen. Das hatten die wenigen Freunde und Verwandten gesagt, und er wusste, wenn er sich selbst von außen sehen würde, würde er zu sich sagen, er solle sich zusammenreißen, tief Luft holen und weitermachen.
    Aber dafür müsste er in der Lage sein, Dolores in ein Regal zu stellen und sie in der Hoffnung verstauben zu lassen, dass die Staubschicht irgendwann dick genug sein würde, um die Erinnerung an sie zu verwischen. Ihr Bild zu verschleiern. Bis sie eines Tages weniger ein Mensch war, der einmal gelebt hatte, sondern eher ein Traum.
    Du musst drüber wegkommen , sagen die Leute , komm drüber weg , aber dann? Soll ich mein beschissenes Leben leben? Wie soll ich dich aus dem Kopf bekommen? Bis jetzt hat es nicht funktioniert , wie also soll ich das anstellen? Wie soll ich dich loslassen? Mehr will ich gar nicht wissen . Ich möchte dich wieder in den Armen halten , möchte dich riechen und , doch , das auch , ich wünsche mir nur noch , dass du verblasst . Bitte , bitte , verblasse …
    Er ärgerte sich, die Tabletten genommen zu haben. Es war drei Uhr nachts, und er war hellwach. Hellwach vernahm er ihre Stimme, die düstere Nuance, den schwachen Bostoner Akzent, den man immer durchhörte. Dolores liebte ihn flüsternd foreva and eva . Im Dunkeln lächelte er, sah sie vor sich, ihre Zähne, ihre Wimpern, die träge fleischliche Lust in ihrem Blick am Sonntagmorgen.
    Dieser Abend damals, als er sie im Nachtclub kennen gelernt hatte. Die Band spielte eine Reihe bombastischer Blechbläserstücke, die Luft war silbrig vom Rauch, und alle waren piekfein angezogen: Matrosen und Soldaten in ihren besten Ausgehuniformen – weiß, blau, grau –, Zivilisten in Zweireihern mit Krawatten in auffälligem Blumenmuster, dreieckige Taschentücher adrett in die Brusttasche gesteckt, scharfkrempige Fedoras auf den Tischen, und die Frauen, sie waren überall. Sogar auf dem Weg zur Damentoilette tanzten sie. Sie hüpften von einem Tisch zum anderen, drehten sich auf den Zehenspitzen, wenn sie sich eine Zigarette anzündeten oder das Puderdöschen aufschnappen ließen, schwebten an die Bar und warfen beim Lachen den Kopf in den Nacken, ihr seidenglänzendes Haar reflektierte das Licht, wenn sie sich bewegten.
    Teddy war mit Frankie Gordon, einem Sergeant von der Aufklärung, und ein paar anderen Freunden gekommen, aber als er das Mädchen sah, ließ er Frankie einfach stehen, ließ ihn mitten im Satz stehen und ging auf die Tanzfläche, verlor sie kurz in der Menge aus den Augen, denn alle drängten zur Seite, um Platz zu machen für eine Blondine in einem weißen Kleid und einen Matrosen, der die Frau über den Rücken wirbelte, in die Luft warf, wieder auffing und fast bis auf den Boden neigte. Applaus brandete auf, und in dem Moment erhaschte Teddy wieder einen Blick auf ihr veilchenblaues Kleid.
    Es war wunderschön, und als allererstes war ihm die Farbe aufgefallen. An dem Abend waren viele schöne Kleider zu sehen, unzählig viele, daher fesselte nicht allein die Robe seine Aufmerksamkeit, sondern die Art, wie sie sie trug. Nervös. Unsicher. Mit einem Anflug von Besorgnis strich sie über den Stoff. Zupfte ihn unablässig zurecht. Drückte die Schulterpolster flach.
    Es war geliehen. Oder gemietet. Ein solches Kleid hatte sie noch nie getragen. Es schüchterte sie so sehr ein, dass sie nicht beurteilen konnte, ob die Männer und Frauen sie aus Begierde, Neid oder Mitleid musterten.
    Sie hatte Teddys Blick bemerkt, als sie am Träger ihres BHs herumnestelte. Schnell zog sie den Daumen heraus. Sie senkte den Blick, errötete vom Hals aufwärts, dann schaute sie wieder auf, und Teddy sah ihr in die Augen, lächelte und dachte: Ich komme mir in diesem Aufzug auch lächerlich vor. Er konzentrierte sich und schickte ihr den Gedanken zu. Vielleicht kam er an, denn sie lächelte zurück, eher kokett als dankbar, und Teddy ließ Frankie Gordon an Ort und Stelle

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