Shutter Island
»Hast du richtig gemacht.«
»Ja, ähm …« Chuck nickte einem vorbeigehenden Pfleger zu, und Teddy hatte das surreale Gefühl, sie seien Häftlinge in einen alten Cagney-Film, die beim Hofgang die Flucht planen. »An den Schreibtisch bin ich aber drangekommen.«
»Du bist was?«
»Verrückt, hm? Kannst mir später auf die Finger hauen.«
»Auf die Finger hauen? Du bekommst einen Orden.«
»Nicht nötig. Ich hab nicht viel gefunden, Chef. Nur seinen Kalender. Aber jetzt kommt’s: Gestern, heute, morgen und übermorgen, die Tage hat er alle freigehalten, verstehst du? Er hat sie schwarz umrandet.«
»Wegen des Hurrikans«, sagte Teddy. »Er wusste, dass der kommt.«
Chuck schüttelte den Kopf. »Er hat quer über die vier Spalten geschrieben. Verstehst du, was ich meine? Als würde man schreiben: Ferien in Cape Cod. Kannst du mir folgen?«
»Klar«, sagte Teddy.
Trey Washington schlenderte zu ihnen herüber, eine billige Zigarre zwischen den Lippen, Haare und Kleidung durchweicht vom Regen. »Was gibt’s denn hier zu tuscheln? Was Geheimes?«
»Extrem geheim«, sagte Chuck.
»Sind Sie draußen gewesen?«, erkundigte sich Teddy.
»O ja. Das ist brutal. Wir haben das gesamte Gebäude mit Sandsäcken eingepackt. Alle Fenster verbarrikadiert. Mannomann. Die Schweinehunde da draußen können gar nicht schnell genug machen.« Trey zündete seine Zigarre mit einem Zippo wieder an und fragte Teddy: »Alles in Ordnung? Die Buschtrommel sagt, Sie hätten irgend so ’n Anfall gehabt.«
»Was für ’n Anfall?«
»Ach, wenn Sie die ganze Nacht hier bleiben würden, könnten Sie alle möglichen Versionen der Geschichte hören.«
Teddy grinste. »Ich hab Migräne. Bekomme furchtbare Kopfschmerzen.«
»Hatte mal ’ne Tante, die das auch ganz schlimm hatte. Die hat sich immer im Schlafzimmer eingeschlossen, Licht aus, Fenster zu, vierundzwanzig Stunden weg.«
»Kann ich ihr nachempfinden.«
Trey paffte seine Zigarre. »Na ja, ist längst tot und so, aber ich schick heute Abend ein Gebet zu ihr hoch. War sowieso ’ne gemeine Frau, Kopfschmerzen hin oder her. Hat mich und meinen Bruder immer mit ’nem Hickory-Stock geschlagen. Manchmal einfach nur so. Hab ich gefragt: ›Tante, was hab ich jetzt wieder getan?‹, hat sie gesagt: ›Weiß ich nicht, aber du hattest irgendwas Schreckliches vor.‹ Was soll man mit so einer Frau machen?«
Er schien tatsächlich eine Antwort zu erwarten, und so sagte Chuck: »Schnell weglaufen.«
Trey stieß ein tiefes »Hahaha« aus, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen. »Das kommt hin. Genau.« Er seufzte. »Ich geh mich mal trocken machen. Bis später.«
»Bis später.«
Der Raum füllte sich mit Männern, die von draußen hereinkamen, sie schüttelten die Nässe von ihren schwarzen Pellerinen und Rangerhüten, husteten, rauchten, reichten jetzt ganz offen Flachmänner herum.
Teddy und Chuck lehnten sich an die beige Wand und unterhielten sich mit gesenkter Stimme, ohne den Raum aus den Augen zu lassen.
»Im Kalender stand also nicht …«
»Hm?«
»… Urlaub auf Cape Cod?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Patient Nr. 67.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
»Das reicht, was?«
»O ja, würde ich sagen.«
Er konnte nicht schlafen. Er lauschte, wie die Männer schnarchten und schnauften, ein- und ausatmeten, einige mit leichtem Pfeifen, andere redeten im Schlaf, einer sagte: »Ich hätte es nur wissen müssen. Mehr nicht. Man kann doch wohl …« Ein anderer sagte: »Ich hab Popcorn im Hals.« Es gab Männer, die strampelten in den Laken, und andere, die sich hin- und herwarfen, wieder andere richteten sich kurz auf und knufften das Kopfkissen, bevor sie sich zurück auf die Matratze fallen ließen. Nach einer Weile bekam die Unruhe einen behaglichen Rhythmus, der Teddy an eine gedämpft gespielte Hymne erinnerte.
Auch die Geräusche von außen waren gedämpft, dennoch hörte Teddy den Sturm über den Boden schürfen und gegen die Grundmauern hämmern. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn im Keller Fenster gewesen wären und er die Blitze gesehen hätte, das unheimliche Licht, das sie an den Himmel malten.
Er dachte über das nach, was Cawley gesagt hatte.
Es ist keine Frage, ob was passiert. Bloß wann.
War er selbstmordgefährdet?
Wahrscheinlich schon. Seit Dolores’ Tod hatte es keinen Tag gegeben, an dem er nicht mit dem Gedanken gespielt hätte, wieder mit ihr vereint zu werden. Manchmal war es noch schlimmer, dann hatte er das Gefühl, weiterzuleben sei
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