Sibirische Erziehung
ich so erzogen wurde, bellte ich eben mit der Meute. Im Lauf der Jahre habe ich viele homosexuelle Freunde kennengelernt, Leute, mit denen ich zusammenarbeitete, Geschäfte machte, und mit vielen verstand ich mich sehr gut, sie waren mir sympathisch, ich mochte sie als Menschen. Trotzdem ist es mir bis heute nicht gelungen, die schlechte Angewohnheit abzulegen, jemanden Schwuchtel oder schwul zu nennen, wenn ich ihn beleidigen will, auch wenn ich es sofort bereue und mich sogar dafür schäme. Das ist halt die sibirische Erziehung, die aus mir spricht.
Die Kleinen Diebe schauten auf die passiven Homosexuellen mit Verachtung herab, obwohl sie selbst fast durchweg aktive Homosexuelle waren. In Zellen, wo es keine starken Familien gab und die Mehrzahl der Jungen völlig auf sich allein gestellt war, kam es zu regelrechtenOrgien, bei denen die Kleinen Diebe diese Jungen in Gruppen vergewaltigten. Sie misshandelten ihre Opfer, beschimpften und provozierten sie ständig, gaben ihnen beleidigende Namen und zwangen sie dazu, unter unmenschlichen Bedingungen zu leben.
Nicht selten wurden die Minderjährigen auch von Wärtern vergewaltigt, gewöhnlich in den Duschen. Geduscht wurde einmal die Woche, wenn man in der allgemeinen Abteilung war; in der Sonderabteilung, wo ich war, aber nur einmal im Monat. Wir behalfen uns mit Plastikflaschen und duschten uns über der Toilettenschüssel, warmes Wasser hatten wir ja im Überfluss. Der Gang in den Duschblock glich einer militärischen Operation: Wir blieben dicht beieinander, Schwache oder Kranke nahmen wir in unsere Mitte und behielten sie immer im Auge, wir bewegten uns wie eine Kompanie Soldaten.
In den Duschen kam es oft zu brutalen Schlägereien, nicht selten ohne ersichtlichen Grund, nur weil irgendjemand zu gereizt war. Es reichte, wenn einer dir den Platz unter dem Wasserstrahl streitig machte, und alles war zu spät. Die Wärter griffen niemals ein, ließen die Jugendlichen ihren Zorn austoben, standen nur da und sahen zu, schlossen manchmal Wetten auf die Jungen ab, wie bei Kampfhunden.
Eines Tages, nach einer Schlägerei zwischen uns und den Georgiern, verfolgte ich einen, der mir gerade ein Handtuch, das meine Mutter bestickt hatte, vom Leib gerissen hatte. Plötzlich blieb mein Feind stehen und machte mir Zeichen, ich solle mich still verhalten. Ich war sehr überrascht und witterte eine Falle. Langsam, mit geballten Fäusten, kam ich näher, bereit, jeden Moment zuzuschlagen. Aber er wies auf eine Kabine, aus der ein seltsames Geräusch kam, so als ob jemand mit einem Metallgegenstand langsam über die gekachelte Wand strich. Wirspürten, dass dort etwas Schlimmes passierte, ich hatte eine böse Vorahnung, wollte nicht sehen, was hinter dieser Wand geschah.
Vorsichtig gingen ich und der Junge, den ich einen Augenblick vorher noch zu Brei hatte schlagen wollen, von Kabine zu Kabine, geduckt näherten wir uns dem Geräusch. Es war ein schmerzhafter Anblick: Ein kräftiger Wärter in mittleren Jahren stand da mit heruntergelassener Hose, den Kopf im Nacken und die Augen geschlossen, und war dabei, einem kleinen, mageren Jungen buchstäblich den Arsch aufzureißen. Der Junge wimmerte leise und machte keine Anstalten, dem Griff des Vergewaltigers zu entkommen, der ihn mit einer Hand am Hals und mit der anderen an der Hüfte festhielt.
Das Geräusch, das wir gehört hatten, kam von dem Schlüsselbund, der an der heruntergerutschten Hose des pädophilen Köters hing und bei jeder seiner Bewegungen über den Boden schrappte.
Wir blieben nicht lange, wenn ich mich recht erinnere, denn sobald wir begriffen hatten, was da vor sich ging, schlichen wir davon. Als wir uns den offenen Duschen näherten, wo die anderen schon dabei waren, sich zu einzuseifen, machte ich dem Georgier ein Zeichen, Schweigen zu bewahren, und er nickte.
Die Wärter waren nicht alle gleich. Einige hatten einen Rest Menschlichkeit in sich und behandelten uns nicht schlecht. Das heißt nicht, dass sie je eine menschliche Regung für uns übrig hatten, aber es half schon extrem, dass sie uns nicht schlugen, nicht demütigten und nicht misshandelten. Andere hingegen zwangen Minderjährige dazu, sich zu prostituieren.
Unter ihnen war ein alter, widerlicher Köter, der sein ganzes Leben lang Wärter in Gefängnissen fürErwachsene gewesen war. Irgendwann hatte er eine Fortbildung in Jugendpsychiatrie gemacht und seine Versetzung in ein Jugendgefängnis beantragt. Er hatte große Macht in unserem Knast:
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