Sibirische Erziehung
Obwohl er nur ein einfacher Aufseher war, machte er dem Direktor Konkurrenz. Er hatte mit Leuten zu tun, die ein neuartiges Geschäft betrieben, das mit der Demokratie aus dem Ausland gekommen war, als Ausdruck der Freiheit. Diese Leute produzierten Sexfilme mit Kindern und zwangen die Minderjährigen zum Geschlechtsverkehr mit Fremden, die aus Europa oder den USA kamen, Leuten, die viel Geld und damit im neuen demokratischen System enorme Macht hatten. Die Jungen wurden zu bestimmten Zeiten aus den Zellen geholt und kehrten am folgenden Tag zurück, mit Taschen voller Lebensmittel und unnützem Kram wie Hochglanzillustrierten, Malstiften und anderen Dingen, von denen man im Knast nur träumen konnte. Ihren Zellengenossen war es verboten, diese Jungen anzurühren und zu misshandeln, sie waren unantastbar, niemand wagte auch nur einen Finger gegen sie zu erheben, denn alle wussten: Diese Jungen waren die Huren des alten Aufsehers. Wir nannten ihn »Krokodil Dschena«, nach der Figur in einem sowjetischen Zeichentrickfilm. Den Huren gaben wir Frauennamen. Ihre Pritschen waren gewöhnlich ganz hinten, bei der Tür, und dort blieben sie die ganze Zeit.
Niemand sprach mit ihnen, sie lebten völlig isoliert, wir taten so, als existierten sie nicht. Wir Sibirer hielten sie zudem für ansteckend, daher mieden wir sie noch mehr als die anderen, sogar den Kontakt mit ihren Sachen oder denen, die in Kontakt mit ihnen oder ihren Sachen gekommen waren.
Einmal beschloss ein Sechzehnjähriger namens »Fisch«, einer von den Kleinen Dieben, eine von den Huren anzubaggern, einen Vierzehnjährigen, den alle Marinanannten. Marina wurde regelmäßig aus der Zelle geholt, aber als er an diesem Morgen zurückkehrte, hatte er Spuren von Peitschenhieben auf den Armen und einen geröteten Hals, als hätten sie ihn gewürgt. Es schien ihm aber nicht schlechtzugehen, er wirkte fröhlich, aß Obst, las Comics. Fisch ging also zu ihm und bat um ein Stück Obst. Marina gab ihm etwas, und Fisch setzte sich neben ihn auf die Pritsche. Sie begannen, sich zu unterhalten, und am Ende überredete Fisch ihn, ihm vor der ganzen Zelle einen zu blasen.
Wir Sibirer befanden uns zu der Zeit in einer blöden Situation, wir hatten gerade eine Schlägerei hinter uns und mussten uns eine Weile ruhig verhalten – die aus der Disziplinarabteilung hatten gedroht, uns andernfalls in getrennte Zellen zu stecken, wo wir dann wahrscheinlich ziemlich schnell in der Scheiße gesessen hätten. Darum blieben wir, während Fisch vor versammelter Truppe und anderen Idioten, die hinzugekommen waren, um das Spektakel zu genießen, sein Genital in Marinas Mund versenkte, auf unseren Pritschen hocken und kochten vor Wut, weil wir ihm nicht mal die Fresse zu Brei schlagen durften.
Die Kleinen Diebe feuerten ihn an:
»Na los, Schwuchtel, friss ihn ganz!«
»Gut so, Fisch, lass ihn deine Gräte schlucken!«
»Schön den Mund aufmachen, dann steck ich dir meinen auch noch rein!«
Schnell war klar, dass noch mehr Typen von Marina die Dienstleistung wollten, die Fisch bekommen hatte.
Man hörte Marina leise und mit widerlich weiblichem Tonfall flüstern:
»Nein, Jungs, ihm hab ich’s gemacht, weil er mir gefällt, jetzt ist genug ...«
Aber der Haufen war nicht mehr zu stoppen.
»Was redest du da, mach’s Mündchen auf, meine Liebe, ja, so ist gut, sonst breche ich dir nämlich dein tuntiges Näschen!«
»Ja, so, schön dran lutschen! Und danach sind wir an der Reihe!«
Man hörte Stöhnen und ab und zu die Schreie derjenigen, die zum Höhepunkt kamen. Marina hustete und spuckte. Andere schrien boshaft:
»Hör auf zu spucken, Schwuchtel! Runterschlucken, sonst schlag ich dir die Fresse ein!«
Armer Kerl, Marina. Er konnte einem leid tun, er weinte, und mit der dünnen Stimme eines Todkranken, der keine Kraft zum Atmen hat, flehte er:
»Bitte, ich kann nicht mehr, lasst mich in Ruhe! Später lutsche ich euch alle, aber lasst mich ein wenig ausruhen, bitte ...«
»Später gilt nicht, Schwuchtel, kannst dich ja auf die Pritsche legen, wenn du müde bist, aber auf den Bauch!« Fisch hatte noch nicht genug.
Einer von uns wollte aufspringen und ihm die Fresse polieren, aber wir hielten ihn zurück, wir konnten uns nicht schon wieder Scherereien erlauben. Wir waren gezwungen, dem widerlichen Schauspiel beizuwohnen. Keiner von uns schaute hin, aber wir hörten alles sehr genau, wir waren nur wenige Meter vom Schauplatz der Gewalt entfernt. Wir hörten, wie sie Marina auf
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