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Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung

Titel: Sibirische Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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den Arsch stecken, stimmt’s? Aber wer einen reinsteckt, kriegt ihn auch rein ...«
    »Stimmt, was ist man sonst auch für eine Schwuchtel? Eine halbe Schwuchtel?«
    »He, guckt mal den da! Den haben sie echt bis aufs Blut gefickt!«
    »Geschieht dem Scheißkerl ganz recht, widerliche Schwuchtel ...«
    Filat der Weiße stand auf und schrie:
    »Ihr seid alle verseucht! Geht in der Ecke bei der Tür schlafen, wir ekeln uns, wenn ihr in unserer Nähe seid!«
    Keiner der Kleinen Diebe wagte etwas zu entgegnen, sie waren verängstigt, sie mussten ihnen wirklich arg zugesetzt haben. Gehorsam nahmen sie ihre Sachen und zogen in die Ecke neben der Tür um.
    »Sieh mal, eine Schwuchtelwanderung!«, sagte einer von uns. Alle lachten.
    Am nächsten Tag konnten wir uns anhand von Gerüchten und den Gesprächen zwischen den Kleinen Dieben alles zusammenreimen. Krokodil Dschena hatte sie in den ersten Stock gebracht, in den Raum, der für das Treffen mit Verwandten benutzt wurde: ein großes Zimmer mit vielen Betten, wo die Eltern, wenn sie zu Besuch kamen, einen Tag und eine Nacht mit ihren Söhnen verbringen konnten. Dort waren sie zweieinhalb Tage lang von Krokodil Dschenas Freunden vergewaltigt worden, die außerdem alles mit einer Videokamera gefilmt hatten. Fisch und noch ein paar anderen hatten sie offenbar eine Flasche reingesteckt und den Arsch aufgerissen, bis er blutete.
    Von da an wurde Fisch zu einer Art Schatten, er ging schweigsam im Raum umher und sah immer unter sich. Sein Geschäft verrichtete er nachts, und am Tage sah er zu, dass er seine Pritsche niemals verließ.

    Vor allem die wehrlosen, verängstigten Jungen wurden von den Kleinen Dieben ausgenutzt. Mit Drohungen oder Gewalt trieben sie sie in die »schwarze Ecke«, den Pritschenblock, in dem sie lebten, und wetteiferten um die ausgeklügeltsten und schrecklichsten Quälereien.
    Beinahe jeden Tag vergewaltigten sie jemanden, dann schlugen sie ihn und ließen ihn nackt über den Fußboden tanzen. Aber vorher steckten sie ihm ein zusammengerolltes Papier in den Hintern und zündeten es an. Dieses Ritual hatte auch einen Namen: »Ein Teufelchen aus der Hölle rufen«. Jede Marter hatte einen Namen, fast immer einen ironischen.
    »Der Kampf mit dem Kaninchen« zum Beispiel ging so: Der Unglücksrabe, den es diesmal traf, wurde vor eine Wand gestellt, auf die ein Kaninchen gemalt war, das Boxhandschuhe trug, und er musste, so fest er konnte, darauf einschlagen. »Los, fester!«, brüllten alle, bis sie heiserwaren. Das Opfer prügelte auf die Wand ein, bis seine Hände nach ein paar Minuten zerfetzt und blutig waren. Als nächstes musste er die Wand mit Kopf und Beinen bearbeiten, während die Peiniger drohten:
    »Los, Schwuchtel, wovor hast du Angst? Ist doch nur ein verficktes Kaninchen! Schlag fester zu, mit dem Bein, mit dem Kopf! Schlag zu oder wir zerreißen dir den Arsch wie einen Lappen!«
    Am Ende war der Unglückliche fix und fertig, sofern sie ihn nicht auch noch nötigten, sich mit dem ganzen Körper auf das Kaninchen zu stürzen, aber meist brach er vorher, ohnmächtig vor Schmerz, zusammen. Dann ließen sie ihn einfach auf dem Boden liegen und sagten:
    »Schlampe, Weichei! Der hat ja gar nichts drauf, lässt sich von einem Kaninchen die Fresse polieren! Wenn du wieder zu dir kommst, machen wir ein hübsches kleines Mädchen aus dir!«
    So stifteten die Kleinen Diebe unter den Häftlingen Angst und Chaos.
    Eine andere Folter hieß »Gagarins Flug«: Das Opfer wurde gezwungen, die Füße mit den Händen festzuhalten und sich wie ein Ballon von der obersten Pritsche hinunterzustürzen. Manchmal banden sie ein Handtuch um seinen Kopf, das ihn »schützen« sollte, wenn er auf dem Boden aufschlug, aber trotzdem endete diese Folter jedes Mal mit gebrochenen Knochen, und der Unglückliche musste umgehend in die Krankenabteilung.
    Dann gab es noch »Das Gespenst«: Das Opfer musste, manchmal tagelang, mit einer Decke über dem Kopf herumlaufen, alle durften ihm jederzeit eine reinhauen, und er musste dann jedes Mal antworten:
    »Ich spüre nichts, weil ich ein Gespenst bin.«
    Gewöhnlich wurde er mit etwas Hartem geschlagen, vorzugsweise dem Teetopf, mit einer Packung Zuckerdarin, damit er noch schwerer war. In einer Nachbarzelle brachten sie mal einen um, weil sie ihm zu hart auf den Kopf schlugen. Am Tag darauf, während des Freigangs, gaben sie damit im Hof an, ich hörte sie lachen und prahlen:
    »Das war aber ein schlappes Gespenst.«
    Die

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