Sibirische Erziehung
war, das Geschäft betrat. Er gehörte zur Bande eines berühmten Kriminellen, der »Engel« genannt wurde und mehr als zehn Jahre lang in Sibirien Züge ausgeraubt und die Kommunisten in Angst und Schrecken versetzt hatte. Swjatoslaw war in einem Feuergefecht verletzt worden, und seine Freunde hatten ihn zur Erholung nach Transnistrien geschickt. Sie hatten ihm Geld für die sibirische Gemeinschaft gegeben, die ihn umstandslos aufnahm. Swjatoslaw hatte keine Familie, seine Eltern waren tot. Um es kurz zu machen: Swjatoslaw verliebte sich in Zilja, und sie verliebte sich in ihn.
Um nicht gegen Anstand und Sitte zu verstoßen, wurde Swjatoslaw im Haus des Rabbiners vorstellig und bat ihn um die Hand seiner Tochter, aber Moischa behandelte ihn ungebührlich, hielt ihn wohl für einen armen Schlucker, weil er bescheiden auftrat und – wie es das sibirische Gesetz befahl – seinen Wohlstand nicht zur Schau stellte.
Nach dieser Demütigung wandte sich Swjatoslaw anden Wart der Unterstadt, zu jener Zeit ein Krimineller namens Sidor, genannt die »Luchspfote«, ein alter sibirischer Urka. Nachdem er sich die Sache angehört hatte, mutmaßte Luchspfote, der Jude habe sich möglicherweise so verhalten, weil er an Swjatoslaws finanziellen Möglichkeiten zweifelte, darum riet er ihm, die Hoffnung nicht aufzugeben und mit Schmuck als Geschenk für die Tochter noch einmal zum Rabbiner zu gehen.
In Sibirien ist es Brauch, dass der Bräutigam selbst den Heiratsantrag macht, und zwar in Begleitung eines Familienmitglieds oder in Ausnahmefällen eines alten Freundes. Daher schlug Luchspfote Swjatoslaw vor, ihn bei seinem zweiten Versuch zu begleiten. Mit vielen kostbaren Schmuckstücken gingen sie zum Haus des Rabbiners und brachten ihr Anliegen erneut vor, aber der behandelte sie wieder ungebührlich und nahm sich sogar heraus, sie zu beleidigen. Er nahm den Schmuck, tat, als hätte er sich die Hand daran verbrannt, und ließ ihn auf den Boden fallen. Als die Gäste ihn fragten, woran er sich verbrannt hatte, entgegnete er:
»Am Menschenblut, das daran klebt.«
Die Sibirer gingen fort und wussten schon, was sie tun würden. Luchspfote gab Swjatoslaw die Erlaubnis, mit der Tochter des Rabbiners im sibirischen Viertel zu leben, vorausgesetzt sie war einverstanden.
Noch in derselben Nacht floh die schöne Zilja aus dem Haus ihres Vaters. Das sibirische Gesetz schrieb vor, dass sie nichts außer sich selbst mitnehmen durfte, daher hatte Swjatoslaw ihr sogar Kleider für die Flucht besorgt.
Am Tag darauf schickte der Rabbiner jüdische Kriminelle, die mit den Sibirern verhandeln sollten. Luchspfote erklärte ihnen, dass nach unseren Gesetzen jeder, der das achtzehnte Lebensjahr erreicht hat, frei ist zu tun, was er will, und dass es eine große Sünde ist, sich dementgegenzustellen, vor allem wenn es um Liebe und die Gründung einer neuen Familie geht, da beides gottgewollte Dinge sind. Die Juden wollten Stärke demonstrieren und bedrohten Luchspfote mit dem Tod, und da sah er rot, erschlug drei gleich auf der Stelle mit einem Holzstuhl, brach dem letzten den Arm und schickte ihn zum Rabbiner zurück mit den Worten:
»Wer den Tod beim Namen nennt, weiß nicht, dass er ganz in seiner Nähe ist.«
Danach brach die Hölle los. Moischa, der über die Sibirer nichts wusste außer dass sie Mörder und Räuber waren und fest zusammenhielten, hatte nicht die Mittel, um sie auf ihrem eigenen Gebiet herauszufordern, also bat er die Juden aus Odessa um Hilfe.
Die Anführer der jüdischen Gemeinschaft von Odessa, reiche und mächtige Leute, organisierten eine Versammlung, um herauszufinden, welche Seite im Recht war und wie man hier Gerechtigkeit walten lassen konnte. Bei dieser Versammlung waren alle anwesend, einschließlich Swjatoslaw, Zilja und Moischa.
Nachdem sie beide Seiten angehört hatten, schoben die Juden Swjatoslaw die Schuld in die Schuhe und warfen ihm vor, Moischas Tochter entführt zu haben. Die Sibirer hielten dagegen, dass sie nach dem sibirischen Gesetz nicht entführt worden war, weil sie ja aus freiem Willen gegangen war, was durch die Tatsache bewiesen wurde, dass sie in ihrem Elternhaus alles zurückgelassen hatte, was sie mit diesem Ort verband.
Etwas habe sie doch mitgenommen, wandte Moischa ein: ein buntes Band, mit dem sie sich die Haare zusammenband. Das stimmte, Silja hatte vergessen, es herauszunehmen, und ihre Mutter hatte das bemerkt.
So unbedeutend es war, diese winzige Kleinigkeit führte dazu, dass
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