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Sibirische Erziehung

Sibirische Erziehung

Titel: Sibirische Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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in seinem Präsidentensessel und spielte Tetris . Ich stieg als erster aus, und als er mich sah, kam er angelaufen, um mich zu begrüßen, wie er es bei allen machte, die ihm sympathisch waren. Ich umarmte ihn und bat ihn, Stepan zu wecken, es sei dringend. Er rannte sofort los zu Stepans Haus, das nur dreißig, vierzig Meter entfernt lag.
    Ich sollte vielleicht erwähnen, dass Nixon die Gegenwart meines Freundes Mel nicht ertrug: Aus unerfindlichen Gründen behauptete er, er wäre ein Spion, einmal hatte er ihn sogar mit einer Eisenstange geschlagen, weil Mel ihn zu Tode erschreckt hatte. Darum hatte ich Mel gesagt, er solle im Auto bleiben und sich nicht blicken lassen, damit es nicht mitten in der Nacht einen Aufstand gab. Nixon ging Stepan holen, und das nutzte Mel aus, um auszusteigen und sich an einem Busch zu erleichtern.Während er dastand und Geräusche machte wie ein mittlerer Wasserfall, kam Nixon zurück, schob den Rollstuhl vor sich her, in dem ein noch halb schlafender Stepan saß.
    Da ich Stepan am besten kannte, war es an mir, mit ihm zu reden, zusammen mit dem Stummen. Die anderen warteten in den Autos oder tranken vor dem Kiosk Bier.
    Stepan hatte wohl verstanden, dass es um etwas Wichtiges ging, denn er machte keine Scherze wie sonst. Ich entschuldigte mich dafür, dass ich ihn um diese Uhrzeit geweckt hatte, und erzählte ihm die traurige Geschichte. Während ich sprach, wurde die lebendige Hälfte seines Gesichts zu einer Art Maske, ähnlich den Masken japanischer Dämonen.
    Stepan war zornig. Als ich die Belohnung erwähnte, machte er eine wegwerfende Handbewegung und sagte, da sei etwas, das er uns geben wolle. Er rief Nixon und gab ihm eine Anweisung. Der verschwand und kehrte einige Minuten später mit einem Pappkarton zurück. Stepan reichte ihn mir und sagte, er sei ein einfacher armer Mann und könne nicht mehr geben, aber es sei das Schönste und Nützlichste, das er hätte.
    Ich öffnete den Karton und fand eine Stetschkin mit Schalldämpfer und Stütze sowie sechs volle Magazine. Eine wunderbare Waffe, und ziemlich teuer: die einzige in der UdSSR hergestellte Pistole, mit der Schnellfeuer möglich ist, mit zwanzig Schuss im Magazin.
    Ich dankte ihm und sagte, dass ich sie gerne bezahlen würde, aber Stepan lehnte ab, das gehe schon in Ordnung, ich solle nur unseren Alten von seiner Gabe erzählen. Er versprach, die Ohren offenzuhalten und mir gleich Bescheid zu geben, falls er etwas Interessantes hörte. Bevor ich ging, versuchte ich noch, wenigstens das zu bezahlen, was die Jungs am Kiosk verzehrt hatten, ein paar Bier, Zigaretten und was zu essen, aber er wollte dafür nichtshaben. Also steckte ich Nixon das Geld in die Tasche, der uns wie ein glückliches Kind hinterherwinkte, als wir in die Autos stiegen.
    Zweihundert Meter weiter wartete Mel auf uns, der sich, um ein Aufeinandertreffen mit Nixon zu vermeiden, durchs Gebüsch geschlagen hatte und sauer war, weil er sich im Dunkeln das ganze Gesicht zerkratzt hatte.
    Keiner wollte Stepans Pistole haben: Wie sich herausstellte, hatte jeder schon mindestens zwei dabei. Also nahm ich sie.

    Als wir uns dem Zentrum näherten, dämmerte es bereits: Der zweite Tag unserer Nachforschungen brach an.
    Ich schlief ein bisschen im Auto, traumlos, als wäre ich ins Leere gefallen. Als ich aufwachte, waren wir bereits im Zentrum, und die Autos hatten im Hof eines Hauses angehalten. Außer mir und Mel, der noch schlief, waren alle Jungen ausgestiegen. Gagarin sprach mit zwei Leuten vor einem Hauseingang.
    Ich stieg aus und ging zu den anderen. Ich fragte Grab, was los sei, und er antwortete, dass die beiden, mit denen Gagarin sprach, Leute des hiesigen Warts seien.
    »Und was haben sie gesagt?«
    »Dass sie nichts darüber wissen, was bei den Telefonzellen passiert ist. Dass sie noch nie von Unbekannten gehört haben, die in ihrem Viertel ein Mädchen belästigt haben sollen.«
    Kurz darauf gingen die beiden weg.
    »Und?«, fragte ich Gagarin.
    »Jetzt sind sie gefordert: Wenn sie zugeben müssen, dass sie nichts darüber wissen, können sie einpacken. Und das könnte sie teuer zu stehen kommen. Deshalb haben sie uns gebeten, ihnen Zeit zu geben, die Sache zu überprüfen. Und vorerst nicht den Wart zu informieren. Siehaben ihre uneingeschränkte Zusammenarbeit zugesagt. Wir haben uns für zwölf Uhr unter der alten Brücke verabredet.«
    Also beschlossen wir, wieder in die Autos zu steigen und in einem Lokal namens »Blinnaja« im Uferviertel zu

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