Sibirische Erziehung
Plastikeimerchen und -schäufelchen, Fotos, jede Menge Papier, Zeitungen und Akten, alles in einem riesigen Kuddelmuddel.
Außerdem kamen unendlich viele Flaschen mit Süßgetränken angeschwommen, mit und ohne Kohlensäure: Ein paar Kilometer stromaufwärts stand nämlich eine Limonadenfabrik mit Abfüllmaschinen und Lager und allem drum und dran. Die Flutwelle hatte auch sie heimgesucht und die ganzen Lagerbestände fortgespült.
Wir beschlossen, all diese Flaschen zu bergen und hinterher unter allen aufzuteilen, die bei der Säuberung des Flusses mitgemacht hatten. Doch schon nach einer Stunde hatten wir derart viele herausgefischt, dass wir nicht mehr wussten, wohin damit. Deshalb schafften zwei von uns sie mit großen Schubkarren vom Ufer fort, um Platz für die nächsten zu machen, und kippten sie in die Höfe der Nachbarn, die am Fluss wohnten. Die ganze erste Straße des Viertels wurde so mit Flaschen vollgestellt, etwa fünfzig Häuser, und wenn die Jungen mit einer neuen Fuhre ankamen, riefen die Leute nur:
»Hier passt nichts mehr rein, Kinder, geht zum nächsten Haus!«Der Fluss bei uns ist eng und tief und deshalb ziemlich gefährlich. Wegen der starken Strömung bilden sich zahlreiche Wirbel, die eine beträchtliche Größe erreichen können, über drei Meter im Durchmesser.
Als die Flutwelle bei uns ankam, wurde der größte Teil des Mülls, den sie mit sich trug, an den Rand geschwemmt, wo er in großen Ansammlungen darauf wartete, dass wir ihn einsammelten. Wir arbeiteten den ganzen Tag, ohne Pause, und hörten erst abends auf, als wir wegen der Dunkelheit nichts mehr sahen.
Wir hatten das Ufer ganz schön zugestellt, man kam fast nicht mehr durch: Wohin man den Fuß auch setzte, überall lag schon was.
Wir blieben da und schliefen am Feuer.
Doch vorher aßen wir, jemand hatte Essen von zu Hause mitgebracht, zu trinken hatten wir mehr als genug: Ich glaube, an diesem Abend habe ich mehr Sprudel getrunken als in meinem restlichen Leben zusammen.
Schließlich lagen wir alle da, im Schein des Feuers, und veranstalteten Rülpswettbewerbe – kein Wunder bei der ganzen Kohlensäure, die wir in uns reingeschüttet hatten.
Zehn Meter entfernt lag die Leiche des Mannes, die wir am Nachmittag herausgefischt hatten. Wir legten ihm ein Kreuz und eine Kerze in die Hände, um ihn zu besänftigen. Jemand stellte ihm sogar ein Glas Mineralwasser und ein Stück Brot hin, weil man nach sibirischer Sitte den Toten stets etwas anbieten muss.
Wir beschlossen, am nächsten Tag die Jungen aus den anderen Vierteln um Hilfe zu bitten, denn im Fluss wimmelte es noch immer von Gegenständen, und weitere Leichen gab es auch. Bei der Hitze würden sie schnell anfangen zu verwesen, und dann hätten wir in einer Hölle arbeiten müssen. Zusammen mit den anderen Kindernbekämen wir den Fluss im Handumdrehen gesäubert, dachten wir.
Am nächsten Tag gegen zehn rückte die Verstärkung an. Viele Jungen aus dem Zentrum, ein paar aus dem Kaukasus- und dem Eisenbahnviertel: Alle wollten mithelfen, und wir waren froh darum.
Damit sie nicht ins Wasser fielen (viele konnten nicht schwimmen, sie waren eben nicht am Fluss aufgewachsen wie wir), sollten sie am Ufer arbeiten. Sie schafften das Zeug in Schubkarren oder Säcken fort.
Die Mineralwasserflaschen verkauften wir en gros an Leute, die mit dem Auto kamen und sie dann an die Geschäfte weiterverkauften. Wir verlangten wenig, und der Preis richtete sich nicht nach der Menge, die sie abnahmen, sondern nach den Touren, die die Käufer schafften: die Tour zu fünfzig Rubel, soviel man einladen konnte. Wer auf Zack war, verdiente das Dreifache. Alle profitierten, wir bekamen das Ufer schnell wieder leer und verdienten noch was dabei, sie bekamen die Ware praktisch umsonst und verkauften sie dann weiter.
Witalitsch half auch mit.
Obwohl er aus dem Zentrum kam, waren wir eng befreundet. Oft kam er zum Baden im Fluss vorbei, er war ein hervorragender Schwimmer. Er fuhr Ruderregatten, hatte einen durchtrainierten Körper und erfreute sich bester Gesundheit, beim Schwimmen wurde er nie müde, er konnte stundenlang gegen die Strömung schwimmen.
Da er so fit war, sollte er das Team anführen, das am Ufer die Gegenstände von den Booten losmachte. Dazu musste man gut schwimmen können, denn das Boot konnte nicht bis ans Ufer. Einmal losgemacht, wurde der Gegenstand von fünf oder sechs Schwimmern ans Ufer transportiert – eine knifflige Aufgabe, denn unter Wassersah man nichts,
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