Sibirisches Roulette
»Weißt du das? Man nennt sie nur die Zwillinge. Immer sind sie zusammen. Nie sieht man einen allein. Getuschelt wird schon …«
»Getuschelt? Wieso?«
»Sind sie etwa ›andersrum‹ … du verstehst, Igor?«
»Schwule?!« Jugorow lachte laut. »Die – nie! Hat man dir's nicht gesagt? Unterschrieben haben auch sie den Aufruf für einen Lagerpuff.«
»Ihr seid wohl alle gleich, ihr Männer!« sagte sie geringschätzig. »Alle denken nur das eine.«
»So ist es.« Er zog sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Erst tanzen wir, mein Liebling, ein Stündchen lang … und dann das eine …«
»Nein! sage ich jetzt. Nein!«
»Und lügst dabei wie ein kirgisischer Pferdehändler.«
»Ein Ekel bist du.«
»Damit muß ich leben.« Er küßte sie auf die Augen, drückte sie fester an sich und sagte dann unvermittelt: »Ich brauche morgen deinen Jeep.«
»Du kannst ihn haben. Wo fährst du hin?«
»Zu Soja Gamsatowna.«
»Du Teufel, du! Nicht eine Schraube bekommst du von mir.«
»Du hast's versprochen, Walja.«
»Wie könnt' ich's ahnen?!« Sie überlegte kurz, nickte und sah die Straße hinab. Die Bogenlampen flammten auf. »Nimm ihn nur …«
»Du bist ein fabelhaftes Mädchen.«
»Das weiß ich … Ich komme mit!«
Am nächsten Tag endete Jugorows Schicht schon am Mittag; genug Überstunden hatte er auf seiner Karte stehen und zu seinem Vorarbeiter Noskow gesagt: »Foma Pjotrowitsch, es ist etwas mit dir zu bereden.«
»Nein!« rief Noskow sofort und hob entsetzt die Arme. »Nein, kein Wort mehr über mein Rad. Mühsam hab ich's geflickt, nun fährt es wieder, und schon stehst du wieder da. Nein! Nicht einen Meter fährst du mehr damit. Nicht ein Zentimeterchen! Ein anderes Opfer such dir. Es gibt noch neunzehn Fahrräder im Lager – warum ich, warum gerade ich? Bin ich der Dümmste von allen?«
Jugorow ließ ihn ausjammern, dann schüttelte er den Kopf und klopfte dem verzweifelten Noskow auf die Schulter.
»Um Urlaub geht's, Foma Pjotrowitsch.«
»Urlaub? Nach Tobolsk? Wie lange?« Noskow atmete auf. »Zuviel Dampf in den Adern, Igor Michailowitsch? Zwei, drei Tage … reicht's für den Puff? Na, na! Was wird die Genossin Ärztin dazu sagen!«
»Einen halben Tag. Heute. Zieh's von den Überstunden ab.«
»Erlaubt. Ab Mittag hast du frei.« Noskow stellte keine weiteren Fragen mehr. Kein Fahrrad, kein Ausflug zu den Süßen in Tobolsk … uninteressant.
Jugorow bedankte sich, fuhr um die Mittagszeit seinen Traktor zurück ins Lager, spritzte ihn wie jeden Tag vom klebenden Dreck sauber und ging dann zu seinem Haus. Dort wartete bereits Walja. Ihr Jeep stand vor der Tür, und sie saß im Zimmer auf dem Bett.
Erschrocken blieb Jugorow an der Tür stehen.
»Wie siehst du denn aus?« fragte er fassungslos.
»Wie immer!« antwortete sie trotzig.
»Geschminkt hast du dich. Gepudert. Die Augenbrauen nachgezogen, die Wimpern getuscht, die Lippen rot angeschmiert – das bist doch nicht mehr du, Walja.«
»Mir gefällt's. Ich finde mich phantastisch.«
»Und wo hast du den kurzen Rock her?«
»Ein einfaches Verfahren. Ich habe einen langen Rock operiert.«
»Was hast du?«
»Abgeschnitten.« Sie räkelte sich auf dem Bett, der kurze Rock glitt hinauf bis zu ihren Oberschenkeln. »Sag, daß ich schöne Beine habe. Schlanke, schöne Beine. Fesseln wie ein Reh.«
»Na ja …« Jugorow wiegte den Kopf. »Die Waden sind etwas zu dick.«
»Scheusal! Ein Scheusal bist du!« Walja setzte sich wieder gerade und zog den Rock über ihre Knie. Es gelang ihr nicht, dazu war er zu kurz. »Die schönsten Beine der Welt habe ich! Die schönsten Brüste. Die schönsten Hüften. Die schönsten Schenkel. Den schönsten Bauch. Den schönsten Hintern … Willst du noch mehr?«
»Ha. Die schönsten Augen. Die schönsten Lippen. Die schönste Nase. Die schönsten Ohren … und das schönste eifersüchtige Köpfchen …«
»Ekel! Ekel! Ekel!«
»So geschminkt willst du nach Lebedewka fahren?« Jugorow begann, sich auszuziehen und zu waschen. Sie sah ihm zu, bewunderte wieder seinen muskulösen Körper und fand es ganz natürlich, hier auf seinem Bett zu sitzen, während er nackt vor ihr herumlief. Als sei es immer so gewesen, jahrelang und nicht erst seit knapp zwei Wochen. »Was werden die guten Leute im Dorf sagen, wenn sie dich so sehen? Was ist denn das, werden sie sagen. Die Genossin Ärztin genau wie Soja … wer hätte das gedacht … Nun hat Jugorow zwei von diesen Täubchen, wie hält er das bloß
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