Sibirisches Roulette
aus?«
»Ein Messer nehme ich gleich und werf es dir in den Rücken!« rief sie. Es war nicht ernst gemeint, aber es klang gefährlich. Jugorow wandte ihr den Rücken zu, nackt wie er war, nahm die Schultern nach vorn und stand da wie eine Zielscheibe.
»Genossin, bedienen Sie sich!« lachte er und bewegte sich nicht. »Nicht verfehlen können Sie's, ich habe ein großes Herz.«
Er wartete, was sie tun würde, und wartete nicht vergeblich. Wie eine Katze sprang sie ihn von hinten an, riß ihn zurück, stürzte mit ihm auf das Bett und schnellte sich herum auf seine Brust. Ihr geschminktes Gesicht rieb sie an seinem Gesicht, bis Lippenstift, Puder, Wangenrot und Augenbrauenfarbe ihn verschmierten; sie küßte ihn und biß ihm in die Schultern und in die Brust, während er ihr den Rock abstreifte, die Bluse wegriß, von allem befreite und im Verschmelzen zu ihr sagte:
»Wer könnte sich mit dir vergleichen …?«
Etwas verspätet, aber glücklich und abgeschminkt, saß Walja dann neben Jugorow im Jeep und fuhr mit ihm nach Lebedewka. Noch immer wußte sie nicht, was er im Dorf oder bei Soja wollte, und Jugorow würde ihr auch nicht die Wahrheit gesagt haben, wenn sie gefragt hätte. Freundlich empfangen wurden sie in Lebedewka sowieso nicht; wer an der Straße oder in den Vorgärten stand, drehte ihnen provozierend den Rücken zu, und im Rückspiegel des Jeeps sah Walja, wie man die Fäuste hinter ihnen herschüttelte, sobald sie vorbeigefahren waren.
»Hast du gesagt, es seien Freunde hier?« fragte sie nach einer Weile.
»Ja. Gute Freunde.«
»Die dich in die Hölle wünschen? Begrüßt man hier einen Freund mit der Faust? Ist das sibirische Sitte?«
»Verärgert sind sie wegen Niktin. Aus dem Lager kommen auch wir, also bekommen wir von ihrem Zorn ab. Sieh nicht hin, Waljaschka.«
Vor Korolews Haus hielt er und stieg aus.
»Hier ist Soja?« fragte Walja. »Hier war ich schon. Der Dorfvorsteher wohnt hier.«
»Ja Korolew. Dringend sprechen muß ich ihn. Fahr weiter zu den Trofimows. Am Ende der Straße, wo sie schmaler und zerfurchter wird, geht ein kaum sichtbarer Weg zwischen Büschen in die Sümpfe. Diesem Weg fährst du nach, bis du an einen kleinen See kommst. Vom See geht wieder ein Weg durch einen Buschwald, an einem Bach entlang, und plötzlich bist du auf einer Lichtung mit Gärten, kleinen Feldern, und mitten drin steht das Schwarze Haus. Neben dem Haus ist ein großes hölzernes Grabmal, dort liegen alle Trofimows begraben. Wenn du auf die Lichtung kommst, sieht alles aus wie ein kleiner, alter Kreml.« Er beugte sich in den Jeep, gab Walja einen Kuß und lachte sie an. »Sprich allein mit Soja, und dann hol mich ab bei Korolew – als von der Eifersucht Geheilte. Vielleicht komme ich auch nach.«
»Allein soll ich zu ihr?«
»Es ist das beste.«
»Was soll ich ihr denn sagen?«
»Auf dem Herzen liegt dir doch genug. Geh ins Haus, wenn sie nicht im Garten ist, und frag sie: Soja Gamsatowna, keine vielen Worte. Ich liebe Igor Michailowitsch. Frei heraus: Liebst du ihn auch?!«
»Und wenn sie ›Ja‹ sagt?«
»Dann habt ihr Zeit genug, darüber zu diskutieren. Um eins nur bitte ich dich …«
»Um was?«
»Reiß ihr nicht die schönen blonden Haare aus.«
»Behalten kann sie diese Strähnen! Das Gesicht werd ich ihr nur zerkratzen …«
Sie ließ den Motor an und fuhr schnell davon. Jugorow sah ihr nach, lachte noch einmal und ging dann in Korolews Haus.
Als er ins Zimmer trat, standen Korolew und der Pope Schagin noch am Fenster, von wo aus sie den Jeep beobachtet hatten. Sie erwiderten Jugorows Gruß nicht, und Korolew bot ihm auch nicht an, näherzutreten. Ihre Blicke waren finster und verschlossen.
»Nasarow geht es gut!« sagte Jugorow.
»Nachdem die Genossin Ärztin ihn operiert hat und dafür auch noch abgeküßt wird«, rief Korolew empört.
»Wohin gehörst du eigentlich?« fragte Schagin.
Jugorow wartete nicht die Einladung ab, sich hinzusetzen, sondern ging von selbst zur Eckbank und machte es sich gemütlich. Korolew kaute an der Unterlippe; seit Tagen quälten ihn Zweifel. Auch wenn Filaret sagte, Jugorow sei ein einsamer Held – der merkwürdige Vortrag, den er in der Stolowaja gehalten und der Großvater Beljakows Hirn für alle Zeiten mit sechstausend Klopsen belastet hatte, ging ihm nicht aus dem Sinn. So vieles war in den Worten gewesen, das fremd war – vor allem, wenn er von Deutschland gesprochen hatte, vom Untergang der Inseln, von Hamburg, von der
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