Sibirisches Roulette
kleinen Transporter begegneten Krasnikow und Meteljew den zum Baulager ausgerückten Rotarmisten unter dem Kommando von Leutnant Mamjelew. Sie wichen zur Seite aus, machten die Straße frei. Ohne auf sie zu achten, rasten die Militärwagen an ihnen vorüber, rasselte der Panzer hinterher, und auch Mamjelew in seinem Jeep GAZ 69 hielt nicht an, um sich mißtrauisch zu erkundigen, wohin man wollte, das sei ja die falsche Richtung, im Rücken von ihnen brenne und explodiere es … Wie ein donnernder Spuk zog Nasarows Streitmacht an ihnen vorbei; nach wenigen Minuten war die Straße wieder frei.
Die Posten am Schlagbaum fehlten, sie waren mit zum Baulager gefahren. Ungehindert konnten Krasnikow und Meteljew in das nun wie ein kleines Fort aussehende Militärlager einfahren, niemand hielt sie an, kein Soldat kam ihnen entgegen. Nur vor dem Zelt der Geiseln standen noch zwei Posten und guckten verwundert und ratlos den Wagen an, der vor ihnen hielt. Sonst schien alles auf dem Weg nach Nowo Gorodjina zu sein.
Meteljew und Krasnikow sprangen aus der Fahrerkabine heraus, und nun vollzog sich alles so schnell, so geübt, ja routiniert, wie man es nach einer SPEZNA-Ausbildung erwartete.
Bevor die beiden Posten vor dem Geiselzelt die Maschinenpistolen in Anschlag bringen und ihr »Stoj!« rufen konnten, blubberte die schallgedämpfte Pistole Meteljews viermal hintereinander … sehr schnell, eine Spezialkonstruktion, die ein pausenloses Schießen erlaubte. Die beiden Rotarmisten sanken um, ohne noch einen Laut von sich zu geben, ungläubige Verwunderung stand in ihren Augen, erstarrte im Tod und gab den Gesichtern etwas erschreckend Kindliches.
Krasnikow riß den Zelteingang auf und ließ eine starke Handlampe über die aus ihren Betten auffahrenden Geiseln gleiten. Er hörte, wie Marfa aufschrie und jemand »Deckung!« rief – das mußte Beljakow sein.
»Alle raus! Schnell! Schnell!« rief Krasnikow laut in das Zelt hinein. »Ihr seid befreit! Schnell raus hier und draußen in den Wagen …«
Dann war er mit einem Satz wieder im Freien, klappte die Plane hoch und suchte mit den Augen Meteljew. Aber Meteljew war nicht mehr am Wagen, obwohl der Motor lief, die Türen der Fahrerkabine offenstanden und alles zur Flucht bereit war. Neben dem Zelt lagen verkrümmt die beiden toten Rotarmisten … plötzlich wußte Krasnikow, wohin Meteljew gelaufen war, die Gunst der Stunde nutzend.
Aus dem Zelt stürzten die Geiseln. Zuerst Marfa Jakowna, dann Svetlana Victorowna, darauf die anderen und zuletzt Beljakow. Sie kletterten mit Krasnikows Hilfe auf die Ladefläche, nur Beljakow blieb vor ihm stehen.
»Wohin bringt ihr uns?« fragte er.
»Zur Unterhaltung ist keine Zeit!« rief Krasnikow. »Steig ein!« Und als auch Beljakow auf dem Wagen stand, riß er die Plane wieder herunter und hakte sie in die Ösen ein.
Meteljew! Meteljew! Wo blieb Meteljew … Jede Minute war wertvoll …
Nur knapp zweihundert Meter von hier lag Major Nasarow auf seinem Bett, den Körper mit kühlenden Binden umwickelt, und wartete ungeduldig auf die erste telefonische Meldung Mamjelews aus Nowo Gorodjina. Erstaunt hob er deshalb den Kopf, als die Tür aufging und ein Fremder hereintrat. Er meinte, ihn schon einmal gesehen zu haben. Da es ein Zivilist war und er nicht einmal anklopfte, war er es doppelt wert, sofort angebrüllt zu werden.
»Was wollen Sie hier?« Nasarows Stimme war das einzige, was unter Jugorows Peitschenschlägen nicht gelitten hatte. »Wo kommen Sie her? Wer hat Sie durchgelassen? Glotzen Sie mich nicht so an. Wer sind Sie, Sie Arschbackenpfeifer?!«
»Sehr höflich kann man das nicht nennen, Genosse Major«, sagte Meteljew betont milde. Er trat näher, und Nasarow richtete sich ächzend in seinem Bett auf. »Gelernt haben wir und Sie sicherlich auch: Ein Offizier der Roten Armee ist das Vorbild jedes Sowjetbürgers. Er hat höflich und in jeder Beziehung ein mustergültiger Mensch zu sein! Sind Sie das, Major Nasarow? Wer ich bin? Oberleutnant Babrak Awdejewitsch Meteljew. Im Sondereinsatz der GRU.«
»Ah! Endlich! Man wird wach in Moskau! Endlich. Ihren Ausweis bitte, Kamerad … Wie Sie hören und sehen: Sie kommen zur richtigen Zeit.«
»Ganz Ihrer Ansicht, Genosse Major. Die Zeit ist gekommen.«
Meteljew stand vor dem Bett, beugte sich zu Nasarow herunter, und plötzlich hatte er seinen dicken ›Füllfederhalter‹ in der rechten Hand, schlug mit der linken wohlgezielt gegen Nasarows Kinnspitze – ein geradezu
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