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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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inneren Schauer, daß etwas Schweres, sehr Schweres auf sie zukam.
    »Sprich es aus«, sagte sie leise. »Es gibt nichts, was mich von dir trennt.«
    »Ich weiß, wer die Geiseln entführt hat …«
    Sie zuckte nun doch zusammen, aber Jugorow verstärkte den Druck auf ihre Hände. Ihre Augen waren um ein Vielfaches größer geworden.
    »Wer …?« fragte sie tonlos.
    »Krasnikow und Meteljew. Und die Geiseln sind im Schwarzen Haus versteckt!«
    »Bei Soja?«
    Er nickte und wußte genau, was Walja in dieser Sekunde dachte. »Nein!« sagte er in ihre Gedanken hinein. »Mit dem Tod der zwei Rotarmisten, die bei den Geiseln Wache hielten, habe ich nichts zu tun. Ich wußte nur von dem Befreiungsplan. Auch Krasnikow und Meteljew traue ich nicht zu, kaltblütig zu töten.« Und schon wieder log er, mußte lügen, um vielen drängenden Fragen auszuweichen. »In dieser Nacht sind zwei Aktionen abgelaufen: die Befreiung und das Sprengstoffattentat. Alles vermischt sich miteinander, alles verwischt sich auch …«
    »Dann … dann hat der ›Spezialist‹ die beiden Posten getötet?« sagte Walja entsetzt.
    »Wer weiß das, Waljaschka? Es gibt keine Spuren. Krasnikow sagte mir, daß sie schon tot waren, als er die Geiseln aus dem Zelt holte.«
    Das war, sieht man es genau, nicht mehr gelogen. Als er die Geiseln befreite, gab es keine Posten mehr. So doppelsinnig kann eine Sprache sein …
    Er zog ihre Hände an sich, sie waren warm geworden in seinen Fingern, und küßte die Innenflächen. Nur keine weiteren Fragen, bettelte er in Gedanken. Walja, nimm es so hin wie ich es sage … bitte, keine Fragen. Recht hast du … es ist schwer, dich zu belügen. Vor allem ist es schwer, weil mein ganzes Leben eine Lüge ist, mit der ich leben muß, auch vor dir und mit dir … Frage bitte nicht!
    Sie sah auf seinen Kopf, als er sich niederbeugte über ihre Hände, und sie neigte auch ihren Kopf und küßte seinen Nacken, und als er wieder aufblickte, küßte sie seine Augen und seine Lippen.
    »War es das?« fragte sie leise. »Igorenka … das war die Lüge?«
    »Ja. Sie drückte mir das Herz ab.«
    »Du hättest es gleich sagen können. So vieles wäre für dich leichter gewesen.«
    »Ich hatte Angst, Walja … Angst wegen der Toten … Angst, daß du mich mit ihnen in Verbindung bringen könntest.«
    »Igor …« Sie umarmte ihn und so saßen sie eng umschlungen auf dem Bett und spürten ihren Herzschlag, als sei er eins mit dem Herzschlag des anderen; als seien ihre Herzen miteinander verschmolzen. »Wie hätte ich das denken können? Du kannst keinen Menschen töten.«
    »Nein, das kann ich nicht. Aber wärst du vielleicht entsetzt gewesen darüber, daß ich wissen könnte, wer sie getötet hat …«
    »Doch du weißt es nicht. O Igor, wir müssen uns daran gewöhnen, uns zu vertrauen. So, wie die Erde darauf vertraut, daß jeden Tag die Sonne scheint.«
    »Das hast du gut gesagt, Walja«, flüsterte er und drückte ihren Kopf an sich. »So schön … wie jeden Tag die Sonne scheint …«
    Und welch ein Schuft bin ich gegen diese reine Seele! Igor Michailowitsch, denk nicht weiter nach über dich …
    Noch eine ganze Zeit saßen sie auf dem Bett, glücklich, den anderen zu spüren; glücklich, diese Last abgetragen zu haben; befreit durch die Wahrheit, die doch wieder eine Lüge war.
    »Kommst du mit?« fragte Walja plötzlich.
    »Wohin?«
    »Am Sonntag nach Lebedewka. Die Geiseln will ich besuchen.«
    »Mit Krasnikow und Meteljew?«
    »Nein, nur mit dir. Oder sollen sie mit?«
    »Ich weiß nicht …«, sagte Jugorow vorsichtig. »Merkwürdiges fällt mir bei ihnen auf. Die Geiseln haben sie befreit – und fragen mich, was das Schwarze Haus ist. Fragen nach einem Mann, der Trofimow heißt. Das müßten sie doch alles wissen, wenn sie die Geiseln dort abgeliefert haben. Nachdenklich macht mich das. Wir sollten allein und heimlich zu ihnen fahren.«
    »Ich werde Korolew fragen.«
    »Korolew? Wieso?«
    »Morgen fahre ich offiziell ins Dorf, mit Vater und einer Abordnung der Brigade, um Lebensmittel von Lebedewka zu bekommen. Sollen unsere dreihundert Arbeiter von heißem Wasser leben wie in den Straflagern? Wir brauchen, bis aus Tobolsk der Nachschub kommt, Mehl, Kohl, Salz, eine Kuh, Fische, Grütze – das Notwendigste eben.«
    »Ein schwerer Gang für euch, Waljanka.«
    »Wenn Korolew uns danken will, kann er das auf diese Weise tun. Sollen wir Lebedewka überfallen und plündern? Er wird das einsehen. Soll noch mehr Blut

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