Sibirisches Roulette
Zentimeter um Zentimeter … durch das Meer, das dann nicht mehr aufzuhalten ist, weil Sibiriens Flüsse rückwärts fließen.
»Wo willst du hin?« fragte Walja. »Fühlst du dich nicht gut? Zerknittert siehst du aus. Hast du Schmerzen?«
»Nichts ist, Waljaschka«, sagte Jugorow und versuchte, sie mit einem Lächeln anzusehen. Wie weh tat das. Er liebte sie wie einen Engel, aber zwischen ihnen lag eine ganze Welt. »Kann ich morgen mitkommen zu Korolew?«
»Da mußt du meinen Vater fragen.«
»Ich brauche Futter für die Hunde.«
»Auslachen werden sie dich. Freßt sie erst auf, und dann bekommt ihr eine Kuh, werden sie sagen.«
»Versuchen kann man's … und ehe die Hunde verhungern, lasse ich sie frei.«
»Damit tötest du sie.«
»Besser, als wenn sie sich gegenseitig anfallen und zerreißen.«
Er ging zur Tür und riß sie auf. Luft … jetzt Luft um mich herum. Walja, wenn du wüßtest, wie es mich innerlich zerreißt. Nie hätte ich geglaubt, daß Liebe solche Schmerzen bringt … und daß ein Mensch nicht mehr weiß, wer er ist.
»Kommst du mit?« fragte er jetzt und blieb an der Tür stehen.
»Wohin?« Sein Benehmen machte sie nervös und unsicher. Er war heute nicht wie sonst, es war irgendwie ein fremder Igor Michailowitsch. Mit einem feinen Empfinden spürte sie es deutlich.
»Nirgendwohin … nur gehen … herumgehen … ohne Ziel … Luft einatmen … einfach nur gehen …«
»Du hast doch etwas, Igorschka«, sagte sie und stand auf. »Etwas bedrückt dich, ich spüre es wie Wasser auf meiner Haut. Sag mir, was es ist. Ein Körper, eine Seele sind wir doch. Du kannst mir alles sagen.«
Jugorow verließ das Haus, und Walja lief ihm nach.
Ein Körper, eine Seele … du wirst niemals ich sein können, Walja Borisowna. Niemals. So wunderbar russisch bist du, wie nur eine Russin sein kann. Und wer ich bin, darfst du deshalb nie erfahren.
Die drei Wagen der Baubrigade wurden in Lebedewka mit Stirnrunzeln und Schweigsamkeit empfangen. Während Schemjakin und die Abordnung weiterfuhren zu Korolews Haus, blieb Walja vor dem Anwesen der Beljakows stehen und stieg schnell aus ihrem Jeep. Jugorow dagegen ließ sich Zeit; er wartete.
Natürlich saß der alte Beljakow wieder auf der Bank vor dem Haus, in vollem Ordensschmuck, rauchte gerade eine selbstgeschnitzte Pfeife und war stolz darauf, in diesem Alter noch den selbstangebauten Tabak vertragen zu können. Sein Sohn, dieser Weichling, krümmte sich jedesmal schon nach drei Zügen und rang nach Luft, schrie verzweifelt, warum Großväterchen getrocknete Schweinescheiße rauche und mußte seine Kehle mit kaltem Wasser vom Brand befreien.
Seit undenklicher Zeit – fünfzig Jahre konnten es sein – tobte auch der Kampf zwischen dem Alten und Korolew, dessen ebenfalls selbstangebauter Tabak unvorsichtige Gäste, die sich zum Rauchen einladen ließen, auf den Rücken warf. Nach jeder Ernte und der nötigen Trockenzeit, in der Beljakow und Korolew ihre Tabakblätter nach eigenem Geheimrezept fermentierten, fand eine Art Duell statt. Man kann's auch Wettkampf nennen, aber die Leidenschaft, mit der dieser Tabakkrieg ausgetragen wurde, kam schon eher einem Duell gleich.
In der Stolowaja kam man zusammen, vor dem ganzen Dorf, das diesen Tag wie einen Jahrmarkt feierte. Beljakow und Korolew tauschten ihre Tabake aus, stopften sich damit die Pfeifen und rauchten los. Hin und her ging das; in dem einen Jahr rannte der alte Beljakow wie abgeschossen zum Scheißhaus hinter der Stolowaja, im nächsten Jahr wurde Korolew gelb im Gesicht, drückte die Hände gegen den Leib und verschwand ebenso schnell. Nur ein einziges Mal, das war vor vierzehn Jahren, hielten beide durch, neun Pfeifen lang – bis es allen Zuschauern zu langweilig wurde. Erschüttert war da Großväterchen nach Hause gegangen, hatte seinen Fermentsud angestiert, ihm einen Tritt gegeben und gebrüllt: »Teufelsdreck, du! Grigori Valentinowitsch muß ein Gegenmittel geschluckt haben! Im nächsten Jahr kommt schwarzer Pfeffer rein.«
Und tatsächlich: Dieses nächste Duell hatte dann der alte Beljakow schon bei der ersten Pfeife gewonnen …
Jetzt stieß er dicke Qualmwolken aus, als er Walja auf sich zukommen sah und stemmte seinen Stock in die Erde. Am Fenster erschien seine Schwiegertochter, diese nach seiner Meinung hirnlose Kuh, und winkte der Ankommenden zu. Die drei kleinen Kinder riefen im Haus: »Die Tante kommt. Die Tante kommt! Guten Tag …« In der Brust des Alten wallte der
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