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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blieb also gar nichts anderes übrig, als zum guten alten Sibirien zurückzukehren und wieder Steinöfen zu errichten aus festem Flußgestein, in Jahrtausenden rund geschliffen und noch Jahrtausende überdauernd. Auch in den Baracken wurde fleißig gemauert – wußte man denn, ob nicht das Kesselhaus für die Gesamtheizung das nächste Ziel der Terroristen war? Auf der Hand lag's, und ehe man später in der großen Kälte werkelte, war es angenehmer, noch bei mäßiger Hitze die Steine vom Fluß zu holen und kunstvoll die Öfen zu bauen. Material hatte man ja genug. Außerdem war seit dem Morgen der erste Trupp unterwegs, um Bäume zu fällen, sie zu zerschneiden und Brennholz daraus zu hacken. Ein in seinem Haus frierender Russe ist eine Seltenheit.
    Hinzu kam, daß beim Abflug der letzten Kommission der fette Koskajew zu Schemjakin gesagt hatte: »Mein lieber Boris Igorowitsch …« – was schon bedenklich war, denn kaum einer hatte Koskajew jemals so freundlich gesehen –, »… mein Lieber, wir werden alles tun, um Verpflegung und eine neue Küche zu euch zu bringen. Nur Geduld, darum muß ich bitten. Verpflegt euch die nächsten Tage selbst. Preßt dieses verfluchte Lebedewka aus. Ich garantiere, es kommt Nachschub.«
    »Das geht eine Woche gut, Genosse Koskajew«, entgegnete Schemjakin mit tiefem Ernst, »dann steigen wir auf die Wagen und fahren geschlossen zurück nach Tobolsk. Wir sind keine Sträflinge! Wir sind Mitglieder der arbeitenden Klasse! Genossen sind wir, Genosse! Wir haben nicht verdient, daß wir hungern.«
    »Es kommt, es kommt!« rief Koskajew und hatte es eilig, seinen Hubschrauber zu erreichen. Auch er hatte die dünne Kohlsuppe der Rotarmisten essen müssen, noch jetzt blubberte es in seinem Bauch. »Mobil werde ich machen, was sich mobil machen läßt.«
    Das war eine ausgesprochen diplomatische Wendung gewesen, denn wer die sowjetischen Beamten kennt, der weiß, wie wenig mobil sie sich machen lassen. Und so sah es auch Ingenieur Schemjakin, als er jetzt Korolew, dem Ortsvorsteher, seine Lage vortrug und an das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Russen appellierte.
    »Wir haben uns das schon gedacht«, meinte Korolew und bot Schemjakin seinen selbstgebrannten Wodka an, einen herrlich weichen – nicht so eine flüssige Granate, wie sie Trofimow braute. »Nur gibt's Bedenken, große sogar.«
    »Und die wären?«
    »Wir ernähren die, die uns vertreiben wollen. Es ist ein Selbstmord auf Umwegen. Kann man das von uns verlangen?«
    »Am Damm wird nicht weitergearbeitet, Korolew. Ist das ein Wort?«
    »Wenn man's glauben darf …«
    »Wir können gar nicht weiterarbeiten. Holz müssen wir schlagen, Öfen bauen, das Lager winterfest machen. Die Kommission aus Tobolsk hat keine neuen Pläne mitgebracht, keine Instruktionen, wie's weitergehen soll. Wir wissen nur, daß man uns einen vernichtenden Schlag versetzt hat.«
    »Was hat Lebedewka damit zu tun, Genosse Oberingenieur?«
    Schemjakin lächelte trübe in Korolews wetterzerfurchtes Gesicht. »Wir kommen zu Ihnen und bitten um Hilfe. Wir bitten! Es gab, unter uns gesagt, auch Vorschläge, alle Vorräte zu beschlagnahmen. Aber verdammt, ich will nicht noch mehr Blut sehen. Leben wollen wir doch alle, Korolew, leben! Wir handeln auch nur nach Befehlen. Auch uns schafft man in die Straflager, wenn wir nein sagen. Die meisten haben zu Hause ihre Familien, Frauen und Kinder; für sie arbeiten sie hier in diesen mistigen Sümpfen. Nur für sie.«
    »Und wir haben hier seit zweihundert Jahren gearbeitet, haben den Sümpfen und Wäldern unsere Äcker abgerungen, haben weite Gebiete trockengelegt, haben hier unsere Häuser gebaut, sind hier geboren und gestorben – es ist unsere Heimat geworden … und da wird nun auf einmal ein Plan gemacht und ein Strich durch die Landschaft gezogen, und man sagt uns, das soll ein Kanal werden. Von den Menschen, die dort wohnen, spricht jedoch keiner. Sie sind im Weg wie Bäume, man fällt sie und schafft sie weg. Und Sie, Genosse Schemjakin, Sie führen das aus. Um zu leben, wie Sie sagen. Wer fragt uns, wie wir leben?« Korolew winkte ab. »Hat's Sinn, darüber zu reden, Genosse Oberingenieur? Wir können's nicht ändern.«
    »Nein, Sie nicht, Korolew«, sagte Schemjakin doppelsinnig. »Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie dreihundert Mann die nächste Woche überstehen.«
    Das Nachdenken hatte Erfolg. Korolew garantierte der Baubrigade zwei Kühe, ein Schwein und fünf Schafe, dazu Mehl, Kleie, Grütze,

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