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Sibirisches Roulette

Sibirisches Roulette

Titel: Sibirisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gegen die Säge, öffnete mit zitternden Fingern das Kuvert und zog vorsichtig die kleine Haarlocke heraus. Plötzlich lief ein Zucken durch seinen Körper, zu weinen begann er, ganz jämmerlich zu weinen, die Locke drückte er an seine Lippen, stammelte: »Marfa, Marfa, Marfaschka …«, lief dann ins Haus, kniete vor den zwei in der Stube spielenden Kinder nieder, hielt auch ihnen die Locke an den Mund, weinte und weinte und schluchzte: »Von Mamuschka ist sie, Kinderchen. Von Mamuschka! Fühlt ihr es, so weich wie Seide … riecht ihr es … wie die Erde nach einem Sommerregen … Betet, betet; Gott im Himmel, laß Mamuschka zurückkommen … laß sie leben …«
    Er faltete die Hände der Kleinen, ließ sie so auf dem Boden sitzen, taumelte in das Schlafzimmer, beugte sich über die selbstgeschnitzte Wiege und legte dem schlafenden Säugling Marias Locke auf die winzige Stirn.
    »Sie grüßt uns, mein Liebling«, weinte Kabanow und kniete vor der Wiege nieder. »Tapfer ist sie, so tapfer!«
    Und dann drückte er die Stirn gegen die Schnitzerei, schloß die Augen und sprach lautlos mit Gott …
    Bei den Beljakows wurde Walja zunächst nicht geöffnet. Zwar sah sie, wie Andrej Nikolaiewitschs Mutter hinter der gehäkelten Gardine stand und sie beobachtete, und bemerkte im zweiten Fenster den Großvater, den Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, der immer und überall seine Orden trug, so daß man munkelte, er stecke sie auch an sein Nachthemd – aber trotz Klopfen und Rufen wurde ihr nicht geöffnet.
    Erst als sie laut rief: »Ich komme von Andrej!«, knirschte es im Schloß, und ein Riegel ratschte zur Seite. Der Kopf der Beljakowa erschien in einem Türspalt.
    »Gehen Sie!« sagte Beljakows Mutter. »Gehen Sie! Wir tragen Leid genug.«
    »Ich habe Ihren Sohn behandelt!« rief Walja verzweifelt, als die Tür wieder zuklappte. »Grüße bringe ich von ihm …«
    Wieder ging die Tür auf. Diesmal stand der Großvater mit allen Orden an der Jacke am Spalt und brüllte, als stünde er vor einer Formation: »Wer glaubt's?! Erst wenn Andrej vor mir steht, glaube ich wieder an schöne Worte!«
    »Gestern abend war ich im Truppenlager und habe Andrej den Kopf genäht und verbunden. Warum soll das eine Lüge sein?!«
    Großvater Beljakow stieß die Tür weit auf, im Flur sah man im Rollstuhl die Großmutter und hinter ihr die Beljakowa. Andrejs Vater war im Wald. Alle Augen starrten Walja an, neugierig und feindlich zugleich.
    »Treten Sie ein, Genossin Ärztin«, sagte Großvater Beljakow. »Als Ärztin, nicht als Schemjakins Tochter. Halten wir das gleich fest. Keine falschen Schlüsse soll man ziehen.« Er verriegelte hinter ihr wieder die Tür, als wolle er einen Fluchtweg abschneiden. »Was ist mit Andrej?«
    »Warum haßt ihr mich alle so?« Walja Borisowna blickte in jedes Gesicht und empfing nur Mißtrauen. »Weil Schemjakin mein Vater ist? Kann man sich Väter aussuchen? Zudem kennt keiner von euch den wirklichen Schemjakin.«
    »Was ist mit Andrej?« fragte der Großvater wieder. Seine Stimme wurde lauter. »Kann er überhaupt noch sprechen? Sieht er noch aus wie ein Mensch? Kann man ihn noch erkennen?«
    Die Beljakowa, die Mutter, begann laut zu schluchzen und drehte sich um, die Schürze gegen den Mund drückend. Die Großmutter, im Rollstuhl, ballte die Fäuste. Eine unerschrockene Familie war's, das muß man sagen.
    »Einen großen Riß hatte Andrej Nikolajewitsch auf dem Kopf«, berichtete Walja. »Ein Auge ist zugequollen, aber es ist nicht beschädigt; er wird damit wieder sehen können. Die Wunde habe ich genäht und verbunden. Tabletten gegen die Schmerzen habe ich ihm gegeben. Er ist kein Soldatenmörder, das weiß ich jetzt. Nasarow ist ein Teufel!«
    »Vorsichtig, vorsichtig«, reagierte der Großvater darauf. Er wedelte mit seinem Stock und grunzte dabei ein paarmal. »Kennt ihr das Märchen vom bösen Geist, der den Menschen Sand in die Augen streute, damit sie die wirkliche Welt nicht mehr sehen? Laßt uns nicht blind werden durch Worte.« Er streckte den Stock Walja entgegen, als wolle er mit ihr fechten. Bis zur Tür wich sie zurück, aber der Alte folgte ihr mit schleifenden krummen Beinen. »Was hat Andrej gesagt?« fragte er. »Grüße soll er bestellt haben? So einfach nur Grüße? Keine Botschaft an seine Lieben?«
    »Er konnte nicht viel sagen …«
    »Ah! Ah! Jetzt kommt die Wahrheit heraus. Das Maul haben sie ihm zerschlagen, nicht wahr? Nicht nur das Auge und den Schädel,

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