Sibirisches Roulette

man es, aber wie war's mit dem Rückweg? Die langen Werst bis Nowo Gorodjina? Zu Fuß? Igor Michailowitsch, du bist in den letzten Wochen genug gewandert. Denk dir etwas aus.
    Er wusch sich die Hände in dem kleinen Becken an der Wand, kämmte sich die Haare und war bereit, zum Militärlager zu fahren – da klopfte es energisch an seine Tür.
    »Ich bin da!« rief er. Die Tür klappte auf, und Walja Borisowna trat ein.
    »Ah! Unsere grüne Sonnenbrille«, sagte Jugorow mit jubelnder Stimme. Bei ihm gab es keine Schreck- oder Erkennungssekunde, er reagierte sofort. »Nicht glauben werden Sie's: Ich betreue ab morgen einen Traktor. Ihr Väterchen selbst hat mir die Hand gedrückt und meine Qualitäten erkannt.«
    »Noch sind Sie nicht Mitglied der Brigade!« Walja stieß die Tür zu und stellte ihren Arztkoffer auf die Dielen. »Keine zu frühe Freude.«
    »Wer will das verhindern?«
    »Ich!«
    »Einen Arbeitsvertrag habe ich unterschrieben …«
    »Aber nicht gelesen, scheint mir. Was steht im Paragraphen achtzehn? Vor der Einstellung hat eine ärztliche Untersuchung stattzufinden und ist das ärztliche Zeugnis vorzulegen. – Das haben Sie übersehen, Jugorow.«
    »Sie werden mich untersuchen?«
    »Es ist meine Pflicht. Bei Ihnen fällt sie mir besonders schwer.« Walja öffnete ihren Arztkoffer, nahm einen Fragebogen und einen Kugelschreiber heraus, setzte sich an den schmalen Tisch und beugte sich über das Papier. »Wie alt?«
    »Fünfunddreißig, wenn ich mich auf die Angaben meiner Mutter verlassen kann.«
    »Sie haben doch Papiere.«
    »Da steht dasselbe drin.«
    »Kinderkrankheiten?«
    »Durchfall, als Säugling, sagt mein Mütterchen …«
    Walja überhörte den dicken Spott, aber ihre Backenknochen begannen, hervorzustechen.
    »Geisteskrankheiten in der Familie?«
    »Nein. Ich fange damit an.«
    »Geschlechtskrankheiten?«
    »Prüfe erst und liebe dann, war der Rat von meinem Väterchen. Ein kluger Mann, Genossin Ärztin. Nein, es hat noch nicht gejuckt und gebrannt.«
    »Chronische Krankheiten?« Ihre Stimme hob sich verdächtig. Jugorow kratzte sich den Kopf.
    »Was heißt chronisch, Genossin?«
    »Eine Krankheit, die bleibt, immer wiederkommt …«
    »Aha! Ja, die habe ich.« Walja hob erstaunt den Kopf und ärgerte sich sofort über ihre Reaktion. Sie blickte in Jugorows unverschämtes Grinsen und wandte sich schnell wieder dem Fragebogen zu.
    »Welche Krankheit? Seit wann?«
    »Seit wann? Lassen Sie mich nachdenken … mit fünfzehn Jahren mag's begonnen haben.«
    »Was?«
    »Die chronische Krankheit. Unheilbar, ich weiß es: Immer, wenn ich ein schönes Mädchen sehe, klopft mir das Herz am Hals. Fühlen Sie mal jetzt, Genossin Ärztin: Wie ein Hammer schlägt es auf mich ein. Wo gibt's ein Mittel dagegen?«
    Mit einem wilden Schwung warf Walja Borisowna den Kugelschreiber auf den Fragebogen, sprang auf vom Stuhl und griff nach ihrem Arztkoffer.
    »Ziehen Sie sich aus, Jugorow!« sagte sie hart.
    »Jetzt? Hier? Vor Ihnen? Allein mit Ihnen …?«
    »Ein Patient sind Sie, weiter nichts. Ein geschlechtsloser Patient.«
    »Das wollen Sie feststellen?« Jugorows aufreizendes Lächeln verstärkte sich. »Eine epochale medizinische Leistung wäre das, Genossin Ärztin.«
    »Ausziehen!«
    »Auf Ihre Gefahr …«
    »Nur Oberkörper!« Walja holte das Stethoskop aus dem Koffer und klemmte sich die Hörknöpfe in die Ohren. Noch immer drehte sie Jugorow den Rücken zu.
    »Ach, nur der Oberkörper?« sagte er gedehnt. »Wie anders als beim Militär – da wurde auch nach Hämorrhoiden geforscht.«
    War's nun genug oder erstickte Walja der blanke Zorn – sie warf sich herum wie eine Furie und schrie Jugorow mit wutblitzenden Augen an: »Das Maul müßte man Ihnen zunähen … ja, zunähen! Offen steht's immer. Staub kommt hinein. Infektionsgefährdet sind Sie dadurch, ein Risiko für die Brigade … Sie werden nicht eingestellt!«
    Verblüfft blickte Jugorow in Waljas sprühende Augen. Ihre Ohrschläuche des Stethoskops hatte sie heruntergerissen, Triumph stieg in ihr auf. Was sagst du nun, hieß dieser Blick. Hock dich auf dein Motorrad und fahr weg … irgendwohin. Hier in Nowo Gorodjina setzt du dich nicht fest.
    »So einfach ist das?« sagte Jugorow. Er hatte den Oberkörper entblößt. Gut sah er aus, mit starken Muskeln und in der Sonne gebräunter Haut. An der linken Schulter durchschnitt eine noch frische Narbe rötlich die vollkommene Harmonie seines Körpers.
    »So einfach«, nickte Walja.
    »Eine