Sibirisches Roulette
Zigarette und fand keine. »Ist etwas falsch gelaufen?«
»Wer weiß es?« Krasnikow reichte ihm eine Papirossa hinüber und gab ihm auch Feuer. »Vielleicht die Schüsse? Die Kukli haben dich gesehen?«
»Nein, aus Angst haben sie geschossen. Möglich, daß sich irgendwo etwas bewegt hat … Dummköpfe! Sofort wußte ich dann, wo sie sich versteckt hatten. Auch wenn sie wie die Hasen durch das Gelände liefen – ihre Spur hatte ich immer.«
Sie rauchten die Zigarette zu Ende, Meteljew half, Krasnikows Tote auf dessen Jeep zu laden, und fuhren darauf langsam zum Kasernenbereich zurück, voller Erwartung, was General Tjunin zu ihnen sagen würde.
In einem kleinen Seitenzimmer des Casinos empfing Tjunin die beiden jungen Leutnants. Mit ausdruckslosen Blicken sah er sie an, nickte mehrmals und sagte dann:
»Victor Ifanowitsch Krasnikow, ich befördere Sie zum Oberleutnant. Babrak Awdejewitsch Meteljew, ich befördere Sie zum Oberleutnant. Sie verlassen heute noch das Lager und fliegen nach Moskau. Dort erhalten Sie weitere Weisungen. Ich bin zufrieden mit Ihnen.« Nach einer kleinen Pause verbesserte er sich: »Sehr zufrieden! Packen Sie, in zwei Stunden fliegen wir. Noch eine Frage: Wie fühlen Sie sich?«
»Wir fühlen uns geehrt, Genosse General!« sagte Krasnikow auch im Namen Meteljews.
»Sie haben vier Menschen getötet.«
»Nur einen Befehl haben wir ausgeführt.«
»Packen …« Tjunin nickte, die beiden Leutnants verließen schnell das kleine Zimmer. Versonnen starrte der General an die Wand und war froh, jetzt allein zu sein.
Das sibirische Roulette konnte beginnen. Zwei Spezialisten der GRU gegen einen Spezialisten im Nebel des Unbekannten.
Wer würde gewinnen? Welche Frage!
Bei einem Roulette weiß man nichts im voraus …
Schemjakin verabschiedete gerade Niktin am Hubschrauber mit den üblichen Umarmungen und Wangenküssen, als Jugorow auf seinem Motorrad den Außenbezirk von Nowo Gorodjina erreichte. Er hielt und beobachtete die Abschiedszeremonie, oft die verlogenste Handlung, zu der ein Mensch fähig ist.
Bei Schemjakin und Niktin war das anders. Der vergangene Tag, die Nacht aber vor allem, hatte sie zu wirklichen Freunden werden lassen. Einig war man sich geworden, daß erstens eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung das Kanalprojekt am besten fördern konnte und daß zweitens die Anwesenheit von Major Nasarow eine Gefahr für alle sei. Mit General Pychtin in Tobolsk hatte Schemjakin noch vor Niktins Abflug gesprochen. Wie erwartet, war Pychtin am Telefon nicht bereit, über den befohlenen Einsatz zu diskutieren. Daß ein Zivilist einen Militär vom Fehler eines Befehls überzeugt – unmöglich! Unmöglich – seit Jahrhunderten und nicht nur in Rußland, nein, überall, wo es Uniformen gibt. Nur zu einem war Pychtin bereit: Nasarow sollte die Geiseln vorerst schonend behandeln. Mit einer Ausnahme allerdings: Beljakow, der Soldatenmörder, hatte sein Leben verwirkt. Nach einer ordnungsgemäßen Gerichtsverhandlung sollte er hingerichtet werden. Auf dem Marktplatz von Lebedewka, an genau derselben Stelle, wo er den Soldaten Kulinitsch erschossen hatte. Daran war nicht mehr zu rütteln. Pychtins Stimme bebte sogar, als er das am Telefon verkündete. Die Gerichtsverhandlung war nur noch eine Formsache, um sich vor dem Gesetz zu verbeugen.
»Ich rufe gleich in Moskau an!« sagte Schemjakin, als er bei Niktin an der Tür des Hubschraubers stand. »Daß wir Nasarow vom Hals bekommen, daran glaube ich bei allem Optimismus nicht.«
»Man muß versuchen, ihn überflüssig zu machen, Boris Igorowitsch.« Niktin blickte in den Hubschrauber. Sein Assistent saß schon auf dem Hintersitz, die Aktentasche auf den Knien. Warum Niktin ihn mitgenommen hatte, wußte keiner. Nur um die Tasche zu tragen? Den ganzen Tag über war der lange Kerl in Nowo Gorodjina herumgeschlendert, hatte am Abend in der Kantine der Bauarbeiter gesessen und mit ihnen gesoffen, als müßte er eine Wette einlösen, und war in der Nacht, sinnlos betrunken, in sein Quartier getragen worden.
»Das KGB muß helfen.«
»Mit diesen Genossen möchte ich so wenig wie nur möglich zu tun haben, Jossif Wladimirowitsch«, sagte Schemjakin schnell.
»Aber wenn sie uns helfen …«
»Wem hilft schon das KGB?«
»Versuchen muß man's jedenfalls. Es geht doch nicht, daß man in Tobolsk diese kleinen Zaren duldet!«
Niktin stieg ein, klemmte sich auf seinen Sitz neben dem Piloten, schnallte sich an und winkte durch die Glaskanzel
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