Sibirisches Roulette
Beerensträuchern und ließen die Kraft der Sonne in sich hineinfließen. Ein paar Kinder spielten mit einem Ball, und bloß Großvater Beljakow, der Veteran, hockte – selbstverständlich mit seinen Orden an der Brust – auf einer Bank vor dem Haus, sah Walja kommen, hob den Krückstock und drohte zu ihr hin.
»Nicht einmal am Sonntag lassen sie uns in Ruhe!« brüllte er mit seiner heiseren Stimme. »Wo bleibt Andrej, mein Enkelchen?! He, hast du gehört: Schagin will meinen Sarg bepinkeln …«
Natürlich hörte Walja nichts von dem, was man ihr nachschrie. Als sie den Dorfplatz erreichte, sah sie die Leute von Lebedewka bis auf die Straße vor der Kirche stehen, die jetzt zu klein geworden war für alle Fürbitten. Von drinnen erklang Gesang; einen Psalm sang man, und es waren schöne Stimmen, die über den ganzen Dorfplatz schallten.
Walja hielt an, stieg aus dem Jeep und ging hinüber zur Kirche. In die draußen lauschende Menge wollte sie sich stellen, aber man machte Platz für sie, bildete eine stumme Gasse, und durch diese Menschengasse betrat sie die Kirche. Dicht gedrängt, ja fast zusammengepreßt standen die Lebedewkaner im Raum, und gerade kam Väterchen Schagin, der Pope, durch die Ikonostase, in einem goldbestickten Meßgewand, ein silbernes Kreuz in der Hand, das er mit würdevollen Schritten zu einem mit Samt belegten Altar trug. Ein Vorsänger – es war Wassja, der Totengräber, der beim Singen immer die Augen schloß, den Kopf reckte und den Arsch einzog, als habe er Carusos Memoiren gelesen, in denen der weltberühmte Sänger geschrieben hatte: »Das hohe C steckt im Hintern« – Wassja also stimmte einen neuen Gloria-Gesang an, in den die Gemeinde dröhnend einfiel.
Mit einem zufälligen Blick sah Schagin, wie Walja in die Kirche kam. Vorn, in der dritten Reihe, stand Jugorow neben Korolew, Rudenko und Goldanski. Davor hatte Grazina Grigorinowna die Hände gefaltet. Und Masuk war mit finsterer Miene seitlich von ihnen eingekeilt; sein Blick wechselte dauernd von Jugorow zu Soja Gamsatowna, die mit ihrem Vater an der Wand klebte, umgeben von alten, steingesichtigen Weibern, isoliert und von allen nicht beachtet.
Ein paarmal hatte Soja zu Jugorow hinübergeschaut, und er hatte ihr Augenzwinkern erwidert. Genau das hatte Masuk verfolgt – in seiner Brust rumorte es, sein Herz klopfte gegen einen Felsblock an. Wenn's nicht in der Kirche gewesen wäre, hätte er Jugorow jetzt ergriffen und mit den Fäusten seinen Schädel zertrümmert. So konnte er nur schnaufen, sang brüllend mit, um sich vom inneren Druck zu befreien, und ballte die Fäuste. So eng, wie man stand, sah das niemand.
Auch Walja entdeckte Jugorow sofort, erkannte ihn an seinen blonden Haaren. Von den anderen hob er sich ab – genau wie Soja, die zwar wie alle Frauen in der Kirche ein Kopftuch umgebunden hatte, aber ihr Tuch leuchtete in einem hellen Rot aus der Menge hervor.
In der Kirche ist er, dachte Walja verwundert. In der Kirche. Aber von der Dämmerung bis jetzt sind viele Stunden vergangen …, wo war er da? Und auch sie ist da, singt und betet und hat doch nur die Hölle vor sich. Sind sie zusammen aus dem Bett in die Kirche gekommen? Stehen da, die elenden Heuchler, und lassen sich segnen … Wer kann sich so etwas ansehen? Wie kann Gott auf ihre Gebete hören …?
Walja drängte sich wieder durch die Menschengasse hinaus, stieg vor der Kirche in ihren Jeep und wartete, bis die Messe beendet war. Einen eigenartigen Schluß hatte sich Väterchen Schagin heute ausgedacht, bevor er den allgemeinen Segen erteilte und ehe die silbernen Glöckchen des Kirchendieners Afanasij bimmelten und Totengräber Wassja sein Jubilate anstimmte. Mit seiner gewaltigen Baßstimme rief Kyrill Vadimowitsch über alle Köpfe hinweg:
»Brüder und Schwestern, Kinder des Herrn, umklammert eure Herzen und weichet allen Versuchungen. Nur kurz ist das Leben, aber ewig Gottes Zorn. Wer frißt die Kuh auf, die ihm Milch gibt? Ja, selbst ihr Mist ist zu gebrauchen!«
Dabei schaute Schagin streng zu Masuk herüber, aber das konnte ein Zufall sein. Irgendwohin muß ein Mensch ja blicken. Und wenn … rätselhaft blieben die Worte allemal. Masuk besaß keine Kuh, nur ein Pferd. Und daß Pferdemist gut für den Garten ist, weiß jeder. Ein Häufchen an Gurken und Kürbis – und hui, man kann's fast wachsen sehen. Und gut gegorene Rinds- und Schweinepisse, laßt euch's gesagt sein, Freunde, ist wohl das Beste für ein strammes Gemüse … Doch
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