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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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Fensterbild auf.
    »Hörst du mich? Jachael! Ich bin hier!«
    Noch immer geschah nichts. Rouven ließ seinen Blick über das Fensterbild gleiten. Über diese beiden Halbwesen, die ihn und Jachael darstellten. Über die Figuren am Rand, von denen er nun wusste, dass es die Seelenschützer waren, die Rouven vor Jahrhunderten gerettet hatte. Viele Generationen vor den heutigen Seelenschützern. Und schließlich ruhte sein Blick auf dem Symbol des Sichelmonds mit der Vogelkralle. Sein Wappen. Seine Zeichen für den Wächter über die Halle der Seelen.
    »Zeig dich endlich!«, schrie Rouven noch einmal, doch die einzige Reaktion war das Echo seiner eigenen Stimme, das von den Wänden der Kapelle widerhallte.
    Beging er gerade einen Fehler? Hatte er sich getäuscht? Vielleicht war dies nicht der richtige Ort, vielleicht nicht die richtige Zeit, sich Jachael zu stellen. Möglicherweise wartete Jachael auf die nächste Neumondnacht. Er hatte es selbst gesagt: In den Neumondnächten war Rouven am verwundbarsten. Vielleicht wollte Jachael diesen Zeitpunkt abwarten. Dann müsste Rouven in drei Tagen wiederkommen. Dann erst wäre der Nachthimmel völlig verdunkelt. Dann erst begann die nächste Neumondnacht.
    Rouven atmete tief aus. Er ließ die Schultern hängen. Alle Aufregung, sein ganzes Adrenalin wich aus seinem Körper. Er musste wohl warten, bis Jachael ihn aufsuchen würde. Und so sehr sich alles in Rouven sträubte, so fügte er sich doch in diesen Gedanken. Er könnte die Zeit nutzen, um zu trainieren, kam es ihm in den Sinn. Sich vorbereiten auf den Kampf, dem er sich nun stellen wollte.
    Er wandte sich um und griff schon nach der Türklinke, als ihm ein Geruch in die Nase stieg: Feuer. Im gleichen Moment spürte er, wie die Temperatur in der Kapelle anstieg. Und er wusste, was das bedeutete.
    »Jachael!«, stieß er hervor.
    »Schön, dich zu sehen«, antwortete die bekannte Stimme.
    Rouven drehte sich um. Ihm gegenüber hatte sich Jachael aufgebaut. Wieder einmal halb Mensch, halb Stier. Sein ganzer Körper war rot erhitzt. Die riesigen Hörner prangten an seiner Stirn, der lange Schweif tanzte aufgeregt hin und her. Seine Füße waren Stierhufe, aus denen kleine Flammen emporzüngelten. Der restliche Körper war menschlich, mit Narben übersät, von denen die meisten wahrscheinlich von Rouven stammten. In unzähligen Kämpfen im Lauf der Jahrhunderte zugefügt, wie Rouven vermutete.
    »Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuches?« In Jachaels Stimme schwirrte der gewohnte ironische Unterton mit. »Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich Kuchen gebacken oder ein paar Seelen gebraten.«
    »Du willst einen letzten, endgültigen Kampf?«, antwortete Rouven ohne Umschweife. »Lass uns darüber sprechen!«
    Über Jachaels Gesicht zog sich ein Lächeln, das seine Züge wie eine Fratze erscheinen ließ. »Endlich!«, stieß er hervor, und aus seiner Nase schoss grauer Qualm hervor. »Du bist also bereit?«
    »Du willst einen fairen Kampf?«
    Jachael wippte mit dem Kopf. »Natürlich. Es geht um alles oder nichts.«
    Rouven ging einige Schritte auf ihn zu. »Falls du verlieren solltest, lässt du die Seelenschützer frei und gibst Tabitha und Nana ihr menschliches Leben zurück.«
    Jachael hob die Hände. »Nanu, wie redest du denn? Das klingt ja so, als rechnest du dir keine Chancen zu. Du sprichst, als wolltest du eher aufgeben statt zu kämpfen.«
    Rouven ignorierte Jachaels Einwand. »Akzeptierst du diese Bedingungen?«
    Jachael nickte. »Solltest du gegen mich antreten und gewinnen, dann stehe ich zu meinem Wort. Ich werde Tabitha und Nana ihre Herzen wiedergeben, sodass sie zu normalen, langweiligen Menschen werden. Und deine Bande von Seelenschützern lasse ich auch frei. Diese und ein paar andere.«
    Rouven zog die Stirn in Falten. »Andere?«
    Jachael winkte gelangweilt ab. »Ach, nichts, was dich interessieren sollte. Ein Professor und ein Ladenbesitzer, eine alte Frau mit gelber Einkaufstasche   … Menschliche Ersatzteile, wenn du so willst, die ich brauchte, um endlich das zu erreichen, was ich wollte.« Nun trat auch er einen Schritt vor. »Dich hier, vor meinen Augen.« Er machte noch einen Schritt auf Rouven zu. »Bedenke nur: Es geht nicht nur um deine Lieben hier auf der Erde. Ein Sieg über dich verschafft mir den Zugang zur Halle der Seelen. Ich werde alle mit mir nehmen. Ich werde ihnen das Gute austreiben und ihnen meinen Willen aufzwingen. In Zukunft wird es Generationen von Menschen

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