Sicherheitsfaktor III
dieser Tage ähnliche Spannungen wie in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Man befehdete einander mit Hilfe der öffentlichen Kommunikationsmedien und befestigte die Grenzen, so gut es ging. Diesem Trend folgend, war der sowjetische Geheimdienst vor nicht allzu langer Zeit von Moskau nach Irkutsk, also in unmittelbare Nähe der großasiatischen Grenze, übersiedelt. Und vor wenigen Tagen war ihm der Abwehrdienst des großasiatischen Blocks gefolgt, indem er seinerseits das Hauptquartier von Peking nach Mutanchiang, einer mandschurischen Stadt am Ufer eines Nebenflusses des Amur (oder Heilung, wie die Chinesen ihn nannten), verlegte. Diese Umzüge waren von der Öffentlichkeit unbemerkt vor sich gegangen. Nur in den Zentren der Spionageabwehr wußte man davon.
Der Stollen führte etwa zwanzig Meter weit in den natürlich gewachsenen Fels hinein, bevor sich zur rechten Hand eine Öffnung zeigte. Ich trat in einen Raum, dessen Boden man mit einer rasch erstarrenden Plastikmasse überzogen hatte, um auf diese Weise wenigstens eine verläßliche Horizontale für die Aufstellung von Meßgeräten zu erhalten. Das Mobiliar war äußerst dürftig. Es gab einen Tisch und eine Reihe von Stühlen, bei deren Anblick man Angst bekam, sich eine Sparre in die Haut zu rammen, wenn man sich darauf setzte. Auf einem dieser Stühle hing mehr, als daß er saß, Oberstleutnant Wang Tse Liao, mein Ebenbild. Man hatte mit Hilfe einer Injektion seine Beinmuskulatur desaktiviert, so daß er uns nicht entkommen konnte. Sonst aber war er durchaus bei Kräften.
Er zuckte unwillkürlich zusammen, als er mich erblickte. Ich sah, wie er die Lider zusammenkniff, um sie wenige Sekunden später wieder zu öffnen. Er musterte mich mit dem Ausdruck reinen Entsetzens. Schließlich stieß er hervor:
»Wer … wer sind Sie?«
Er sprach chinesisch.
»Ich bin der, von dem man Ihnen berichtet hat«, antwortete ich. »Ich werde vorläufig Ihre Position einnehmen. Ich bedaure, dies tun zu müssen, aber die Staatsräson zwingt mich dazu. Ich versichere Ihnen, daß ich niemand persönlichen Schaden zufügen und daß ich spurlos verschwinden werde, sobald mein Auftrag erledigt ist.«
Ich war sein Gegner, aber meine Worte mußten ihm die Ehrsamkeit meiner Absichten bekunden. Er neigte leicht den Kopf und antwortete:
»Ich bedauere die Entwicklung der Dinge, die mich in diese Lage brachte. Aber ich erkenne, daß mir keine andere Wahl bleibt, als mich vorläufig in Ihre Gewalt zu fügen, und ich bin gewillt, Sie als einen ehrenhaften Feind zu betrachten, wenn Sie sich wirklich an die Maßregeln halten, die Sie eben genannt haben.«
»Seien Sie dessen versichert«, erwiderte ich ernsthaft und verneigte mich ebenfalls.
Irgendwo summte es hell und durchdringend. Ein Lautsprecher fing an zu plärren:
»Luftfahrzeuge landauswärts. Ein hochfliegendes Schwebeboot, etwa dreißig Hubschrauber.«
Der Kleine sah mich an.
»Das sind sie«, sagte er. »Du mußt dich oben sehen lassen.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Wang Tse Liao war vor mehr als zehn Stunden abgestürzt. Über eine Stunde hatte er im Schlauchboot mit den Wellen gekämpft, bis das Boot an den scharfkantigen Felsen der Insel zerrissen war und er hatte an Land klettern müssen. Es war ihm nicht übelzunehmen, wenn er vorübergehend in einen Schlaf der Erschöpfung versank. Ich brauchte mich dort oben nicht beim ersten Surren der Motoren zu zeigen.
Auf meinen Wink folgte mir der Kleine. Wir traten hinaus in den Stollen.
»Halte die Leute von mir fern!« raunte ich ihm zu. Er schien zu verstehen, was ich meinte. Ich öffnete den Mentalblock und sah mich um. Es waren nicht allzu viele Menschen
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