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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ich
    dich verlassen.«
    Lange noch wandelten die Freunde im Gehölz, lange lagen
    sie und fanden nicht den Schlaf. Und immer von neuem drang
    Govinda in seinen Freund, er möge ihm sagen, warum er nicht
    seine Zuflucht zu Gotamas Lehre nehmen wolle, welchen
    Fehler denn er in dieser Lehre finde. Siddhartha aber wies ihn
    jedesmal zurück und sagte: »Gib dich zufrieden, Govinda! Sehr
    gut ist des Erhabenen Lehre, wie sollte ich einen Fehler an ihr finden.«
    Am frühesten Morgen ging ein Nachfolger Buddhas, einer
    seiner ältesten Mönche, durch den Garten und rief alle jene zu
    sich, welche als Neulinge ihre Zuflucht zur Lehre genommen
    hatten, um ihnen das gelbe Gewand anzulegen und sie in den
    ersten Lehren und Pflichten ihres Standes zu unterweisen. Da
    riß Govinda sich los, umarmte noch einmal den Freund seiner
    Jugend und schloß sich dem Zuge der Novizen an.
    Siddhartha aber wandelte in Gedanken durch den Hain.
    Da begegnete ihm Gotama, der Erhabene, und als er ihn
    mit Ehrfurcht begrüßte und der Blick des Buddha so voll
    Güte und Stille war, faßte der Jüngling Mut und bat den Ehr-
    würdigen um Erlaubnis, zu ihm zu sprechen. Schweigend
    nickte der Erhabene Gewährung.
    Sprach Siddhartha: »Gestern, o Erhabener, war es mir ver-
    gönnt, deine wundersame Lehre zu hören. Zusammen mit
    meinem Freund kam ich aus der Ferne her, um die Lehre zu
    hören. Und nun wird mein Freund bei den Deinen bleiben, zu
    dir hat er seine Zuflucht genommen. Ich aber trete meine
    Pilgerschaft aufs neue an.«
    »Wie es dir beliebt«, sprach der Ehrwürdige höflich.
    »Allzu kühn ist meine Rede«, fuhr Siddhartha fort, »aber
    ich möchte den Erhabenen nicht verlassen, ohne ihm meine
    Gedanken in Aufrichtigkeit mitgeteilt zu haben. Will mir der
    Ehrwürdige noch einen Augenblick Gehör schenken?«
    Schweigend nickte der Buddha Gewährung.
    Sprach Siddhartha: »Eines, o Ehrwürdigster, habe ich an
    deiner Lehre vor allem bewundert. Alles in deiner Lehre ist
    vollkommen klar, ist bewiesen; als eine vollkommene, als eine
    nie und nirgends unterbrochene Kette zeigst du die Welt, als eine ewige Kette, gefügt aus Ursachen und Wirkungen. Niemals ist
    dies so klar gesehen, nie so unwiderleglich dargestellt worden; höher wahrlich muß jedem Brahmanen das Herz im Leibe
    schlagen, wenn er, durch deine Lehre hindurch, die Welt
    erblickt als vollkommenen Zusammenhang, lückenlos, klar wie
    ein Kristall, nicht vom Zufall abhängig, nicht von Göttern
    abhängig. Ob sie gut oder böse, ob das Leben in ihr Leid oder
    Freude sei, möge dahingestellt bleiben, es mag vielleicht sein, daß dies nicht wesentlich ist — aber die Einheit der Welt, der
    Zusammenhang alles Geschehens, das Umschlossensein alles
    Großen und Kleinen vom selben Strome, vom selben Gesetz
    der Ursachen, des Werdens und des Sterbens, dies leuchtet hell
    aus deiner erhabenen Lehre, o Vollendeter. Nun aber ist, deiner selben Lehre nach, diese Einheit und Folgerichtigkeit aller
    Dinge dennoch an einer Stelle unterbrochen, durch eine kleine
    Lücke strömt in diese Welt der Einheit etwas Fremdes, etwas
    Neues, etwas, das vorher nicht war, und das nicht gezeigt und
    nicht bewiesen werden kann: das ist deine Lehre von der
    Überwindung der Welt, von der Erlösung. Mit dieser kleinen
    Lücke, mit dieser kleinen Durchbrechung aber ist das ganze
    ewige und einheitliche Weltgesetz wieder zerbrochen und
    aufgehoben. Mögest du mir verzeihen, wenn ich diesen
    Einwand ausspreche.«
    Still hatte Gotama ihm zugehört, unbewegt. Mit seiner
    gütigen, mit seiner höflichen und klaren Stimme sprach er
    nun, der Vollendete: »Du hast die Lehre gehört, o Brahma-
    nensohn, und wohl dir, daß du über sie so tief nachgedacht
    hast. Du hast eine Lücke in ihr gefunden, einen Fehler. Mö-
    gest du weiter darüber nachdenken. Laß dich aber warnen,
    du Wißbegieriger, vor dem Dickicht der Meinungen und vor
    dem Streit um Worte. Es ist an Meinungen nichts gelegen, sie
    mögen schön oder häßlich, klug oder töricht sein, jeder kann
    ihnen anhängen oder sie verwerfen. Die Lehre aber, die du
    von mir gehört hast, ist nicht meine Meinung, und ihr Ziel ist
    nicht, die Welt für Wißbegierige zu erklären. Ihr Ziel ist ein
    anderes; ihr Ziel ist Erlösung vom Leiden. Diese ist es, wel-
    che Gotama lehrt, nichts anderes.«
    »Mögest du mir, o Erhabener, nicht zürnen«, sagte der
    Jüngling. »Nicht um Streit mit dir zu suchen, Streit um
    Worte, habe ich so zu dir gesprochen. Du hast

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