Siddharta
Govinda.
Siddhartha gab nicht Antwort. Er war wenig neugierig auf
die Lehre, er glaubte nicht, daß sie ihn Neues lehren werde,
hatte er doch, ebenso wie Govinda, wieder und wieder den
Inhalt dieser Buddhalehre vernommen, wenn schon aus
Berichten von zweiter und dritter Hand. Aber er blickte
aufmerksam auf Gotamas Haupt, auf seine Schultern, auf seine
Füße, auf seine still herabhängende Hand, und ihm schien, jedes Glied an jedem Finger dieser Hand war Lehre, sprach, atmete,
duftete, glänzte Wahrheit. Dieser Mann, dieser Buddha, war
wahrhaftig bis in die Gebärde seines letzten Fingers. Dieser
Mann war heilig. Nie hatte Siddhartha einen Menschen so
verehrt, nie hatte er einen Menschen so geliebt wie diesen.
Die beiden folgten dem Buddha bis zur Stadt und kehrten
schweigend zurück, denn sie selbst gedachten diesen Tag sich
der Speise zu enthalten. Sie sahen Gotama wiederkehren, sahen
ihn im Kreise seiner Jünger die Mahlzeit einnehmen was er
aß, hätte keinen Vogel satt gemacht und sahen ihn sich
zurückziehen in den Schatten der Mangobäume.
Am Abend aber, als die Hitze sich legte und alles im Lager
lebendig ward und sich versammelte, hörten sie den Buddha
lehren. Sie hörten seine Stimme, und auch sie war
vollkommen, war von vollkommener Ruhe, war voll von
Frieden. Gotama lehrte die Lehre vom Leiden, von der
Herkunft des Leidens, vom Weg zur Aufhebung des Leidens.
Ruhig floß Und klar seine stille Rede. Leiden war das Leben,
voll Leid War die Welt, aber Erlösung vom Leid war
gefunden: Erlösung fand, wer den Weg des Buddha ging.
Mit sanfter, doch fester Stimme sprach der Erhabene, lehrte
die vier Hauptsätze, lehrte den achtfachen Pfad, geduldig ging
er den gewohnten Weg der Lehre, der Beispiele, der
Wiederholungen, hell und still schwebte seine Stimme über
den Hörenden, wie ein Licht, wie ein Sternhimmel.
Als der Buddha - es war schon Nacht geworden seine
Rede schloß, traten manche Pilger hervor und baten um Auf-
nahme in die Gemeinschaft, nahmen ihre Zuflucht zur Lehre.
Und Gotama nahm sie auf, indem er sprach: »Wohl habt ihr
die Lehre vernommen, wohl ist sie verkündigt. Tretet denn
herzu und wandelt in Heiligkeit, allem Leid ein Ende zu be-
reiten.«
Siehe, da trat auch Govinda hervor, der Schüchterne, und
sprach: »Auch ich nehme meine Zuflucht zum Erhabenen und
zu seiner Lehre«, und bat um Aufnahme in die Jüngerschaft,
und ward aufgenommen.
Gleich darauf, da sich der Buddha zur Nachtruhe zurück-
gezogen hatte, wendete sich Govinda zu Siddhartha und
sprach eifrig: »Siddhartha, nicht steht es mir zu, dir einen
Vorwurf zu machen. Beide haben wir den Erhabenen gehört,
beide haben wir die Lehre vernommen. Govinda hat die Lehre
gehört, er hat seine Zuflucht zu ihr genommen. Du aber,
Verehrter, willst denn nicht auch du den Pfad der Erlösung
gehen? Willst du zögern, willst du noch warten?«
Siddhartha erwachte wie aus einem Schlafe, als er Govin-
das Worte vernahm. Lange blickte er in Govindas Gesicht.
Dann sprach er leise, mit einer Stimme ohne Spott: »Govinda,
mein Freund, nun hast du den Schritt getan, nun hast du den
Weg erwählt. Immer, o Govinda, bist du mein Freund
gewesen, immer bist du einen Schritt hinter mir gegangen. Oft
habe ich gedacht: Wird Govinda nicht auch einmal einen
Schritt allein tun, ohne mich, aus der eigenen Seele? Siehe, nun bist du ein Mann geworden und wählst selber deinen Weg.
Mögest du ihn zu Ende gehen, o mein Freund! Mögest du
Erlösung finden!«
Govinda, welcher noch nicht völlig verstand, wiederholte
mit einem Ton von Ungeduld seine Frage: »Sprich doch, ich
bitte dich, mein Lieber! Sage mir, wie es ja nicht anders sein
kann, daß auch du, mein gelehrter Freund, deine Zuflucht zum
erhabenen Buddha nehmen wirst!«
Siddhartha legte seine Hand auf die Schulter Govindas:
»Du hast meinen Segenswunsch überhört, o Govinda. Ich
Wiederhole ihn: Mögest du diesen Weg zu Ende gehen! Mögest
du Erlösung finden!«
In diesem Augenblick erkannte Govinda, daß sein Freund
ihn verlassen habe, und er begann zu weinen.
»Siddhartha!«, rief er klagend.
Siddhartha sprach freundlich zu ihm: »Vergiß nicht, Go-
vinda, daß du nun zu den Samanas des Buddha gehörst! Ab-
gesagt hast du Heimat und Eltern, abgesagt Herkunft und
Eigentum, abgesagt deinem eigenen Willen, abgesagt der
Freundschaft. So will es die Lehre, so will es der Erhabene.
So hast du selbst es gewollt. Morgen, o Govinda, werde
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