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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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erfüllte, sann er im langsamen
    Dahingehen nach. Tief sann er nach, wie durch ein tiefes
    Wasser ließ er sich bis auf den Boden dieser Empfindung
    hinab, bis dahin, wo die Ursachen ruhen, denn Ursachen er-
    kennen, so schien ihm, das eben ist Denken, und dadurch allein
    werden Empfindungen zu Erkenntnissen und gehen nicht
    verloren, sondern werden wesenhaft und beginnen
    auszustrahlen, was in ihnen ist.

    Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte
    fest, daß er kein Jüngling mehr, sondern ein Mann geworden
    sei. Er stellte fest, daß eines ihn verlassen hatte, wie die
    Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, daß eines nicht
    mehr in ihm vorhanden war, das durch seine ganze Jugend ihn
    begleitet und zu ihm gehört hatte: der Wunsch, Lehrer zu haben
    und Lehren zu hören. Den letzten Lehrer, der an seinem Wege
    ihm erschienen war, auch ihn, den höchsten und weisesten
    Lehrer, den Heiligsten, Buddha, hatte er verlassen, hatte sich
    von ihm trennen müssen, hatte seine Lehre nicht annehmen
    können.
    Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich selbst:
    »Was nun ist es aber, das du aus Lehren und von Lehrern hattest lernen wollen, und was sie, die dich viel gelehrt haben, dich
    doch nicht lehren konnten?« Und er fand: »Das Ich war es,
    dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich war es, von
    dem ich loskommen, das ich überwinden wollte. Ich konnte es
    aber nicht überwinden, konnte es nur täuschen, konnte nur vor
    ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken. Wahrlich, kein Ding
    in der Welt hat so viel meine Gedanken beschäftigt wie dieses
    mein Ich, dies Rätsel, daß ich lebe, daß ich einer und von allen ändern getrennt und abgesondert bin, daß ich Siddhartha bin!
    Und über kein Ding in der Welt weiß ich weniger als über
    mich, über Siddhartha!«
    Der im langsamen Dahingehen Denkende blieb stehen, von
    diesem Gedanken erfaßt, und alsbald sprang aus diesem
    Gedanken ein anderer hervor, ein neuer Gedanke, der lautete:
    »Daß ich nichts von mir weiß, daß Siddhartha mir so fremd
    und unbekannt geblieben ist, das kommt aus einer Ursache,
    einer einzigen: ich hatte Angst vor mir, ich war auf der Flucht vor mir! Atman suchte ich, Brahman suchte ich, ich war ge-willt, mein Ich zu zerstücken und auseinanderzuschälen, um in
    seinem unbekannten Innersten den Kern aller Schalen zu
    finden, den Atman, das Leben, das Göttliche, das Letzte. Ich
    selbst aber ging mir dabei verloren.«
    Siddhartha schlug die Augen auf und sah um sich, ein Lä-
    cheln erfüllte sein Gesicht, und ein tiefes Gefühl von Erwa-
    chen aus langen Träumen durchströmte ihn bis in die Zehen.
    Und alsbald lief er wieder, lief rasch, wie ein Mann, welcher
    weiß, was er zu tun hat.
    »Oh«, dachte er aufatmend mit tiefem Atemzug, »nun will
    ich mir den Siddhartha nicht mehr entschlüpfen lassen! Nicht
    mehr will ich mein Denken und mein Leben beginnen mit
    Atman und mit dem Leid der Welt. Ich will mich nicht mehr
    töten und zerstücken, um hinter den Trümmern ein Geheimnis
    zu finden. Nicht Yoga-Veda mehr soll mich lehren, noch
    Atharva-Veda, noch die Asketen, noch irgendwelche Lehre.
    Bei mir selbst will ich lernen, will ich Schüler sein, will ich mich kennenlernen, das Geheimnis Siddhartha.«
    Er blickte um sich, als sähe er zum ersten Male die Welt.
    Schön war die Welt, bunt war die Welt, seltsam und rätsel-
    haft war die Welt! Hier war Blau, hier war Gelb, hier war
    Grün, Himmel floß und Fluß, Wald starrte und Gebirg, alles
    schön, alles rätselvoll und magisch, und inmitten er, Sid-
    dhartha, der Erwachende, auf dem Wege zu sich selbst. All
    dieses, all dies Gelb und Blau, Fluß und Wald, ging zum er-
    stenmal durchs Auge in Siddhartha ein, war nicht mehr Zauber
    Maras, war nicht mehr der Schleier der Maja, war nicht mehr
    sinnlose und zufällige Vielfalt der Erscheinungswelt,
    verächtlich dem tiefdenkenden Brahmanen, der die Vielfalt
    verschmäht, der die Einheit sucht. Blau war Blau, Fluß war
    Fluß, und wenn auch im Blau und Fluß in Siddhartha das
    Eine und Göttliche verborgen lebte, so war es doch eben des
    Göttlichen Art und Sinn, hier Gelb, hier Blau, dort Himmel,
    dort Wald und hier Siddhartha zu sein. Sinn und Wesen wa-
    ren nicht irgendwo hinter den Dingen, sie waren in ihnen, in
    allem.
    »Wie bin ich taub und stumpf gewesen!« dachte der rasch
    dahin Wandelnde. »Wenn einer eine Schrift liest, deren Sinn er
    suchen will, so verachtet er nicht die Zeichen und Buchstaben
    und

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