Siddharta
mein Gast sein und in meiner
Hütte schlafen, und mir erzählen, woher du kommst, und
warum deine schönen Kleider dir so lästig sind.«
Sie waren in die Mitte des Flusses gelangt, und Vasudeva
legte sich stärker ins Ruder, um gegen die Strömung anzu-
kommen. Ruhig arbeitete er, den Blick auf der Bootspitze, mit
kräftigen Armen. Siddhartha saß und sah ihm zu, und erinnerte
sich, wie schon einstmals, an jenem letzten Tage seiner
Samana-Zeit, Liebe zu diesem Manne sich in seinem Herzen
geregt hatte. Dankbar nahm er Vasudevas Einladung an. Als sie
am Ufer anlegten, half er ihm das Boot an den Pflök-ken
festbinden, darauf bat ihn der Fährmann, in die Hütte zu treten, bot ihm Brot und Wasser, und Siddhartha aß mit Lust, und aß
mit Lust auch von den Mangofrüchten, die ihm Vasudeva
anbot.
Danach setzten sie sich, es ging gegen Sonnenuntergang,
auf einem Baumstamm am Ufer, und Siddhartha erzählte dem
Fährmann seine Herkunft und sein Leben, wie er es heute, in
jener Stunde der Verzweiflung, vor seinen Augen gesehen
hatte. Bis tief in die Nacht währte sein Erzählen.
Vasudeva hörte mit großer Aufmerksamkeit zu. Alles nahm
er lauschend in sich auf, Herkunft und Kindheit, all das Lernen, all das Suchen, alle Freude, alle Not. Dies war unter des
Fährmanns Tugenden eine der größten: er verstand wie
wenige das Zuhören. Ohne daß er ein Wort gesprochen hätte,
empfand der Sprechende, wie Vasudeva seine Worte in
sich einließ, still, offen, wartend, wie er keines verlor, keines mit Ungeduld erwartete, nicht Lob noch Tadel daneben
stellte, nur zuhörte. Siddhartha empfand, welches Glück es ist, einem solchen Zuhörer sich zu bekennen, in sein Herz das
eigene Leben zu versenken, das eigene Suchen, das eigene
Leiden.
Gegen das Ende von Siddharthas Erzählung aber, als er von
dem Baum am Flusse sprach und von seinem tiefen Fall, vom
heiligen Om, und wie er nach seinem Schlummer eine solche
Liebe zu dem Flusse gefühlt hatte, da lauschte der Fährmann
mit verdoppelter Aufmerksamkeit, ganz und völlig
hingegeben, mit geschlossnem Auge.
Als aber Siddhartha schwieg und eine lange Stille gewesen
war, da sagte Vasudeva: »Es ist so, wie ich dachte. Der Fluß
hat zu dir gesprochen. Auch dir ist er Freund, auch zu dir
spricht er. Das ist gut, das ist sehr gut. Bleibe bei mir, Sid-
dhartha, mein Freund. Ich hatte einst eine Frau, ihr Lager war
neben dem meinen, doch ist sie schon lange gestorben, lange
habe ich allein gelebt. Lebe nun du mit mir, es ist Raum und
Essen für beide vorhanden.«
»Ich danke dir«, sagte Siddhartha, »ich danke dir und
nehme an. Und auch dafür danke ich dir, Vasudeva, daß du
mir so gut zugehört hast! Selten sind die Menschen, welche
das Zuhören verstehen, und keinen traf ich, der es verstand
wie du. Auch hierin werde ich von dir lernen.«
»Du wirst es lernen«, sprach Vasudeva, »aber nicht von
mir. Das Zuhören hat mich der Fluß gelehrt, von ihm wirst
auch du es lernen. Er weiß alles, der Fluß, alles kann man von
ihm lernen. Sieh, auch das hast du schon vom Wasser gelernt,
daß es gut ist, nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe zu
suchen. Der reiche und vornehme Siddhartha wird ein Ru-
derknecht, der gelehrte Brahmane Siddhartha wird ein Fähr-
mann: auch dies ist dir vom Fluß gesagt worden. Du wirst
auch das andere von ihm lernen.«
Sprach Siddhartha, nach einer langen Pause: »Welches an-
dere, Vasudeva?«
Vasudeva erhob sich. »Spät ist es geworden«, sagte er, »laß
uns schlafen gehen. Ich kann dir das >andere< nicht sagen, o Freund. Du wirst es lernen, vielleicht auch weißt du es schon.
Sieh, ich bin kein Gelehrter, ich verstehe nicht zu sprechen,
ich verstehe auch nicht zu denken. Ich verstehe nur zuzuhören
und fromm zu sein, sonst habe ich nichts gelernt. Könnte ich es sagen und lehren, so wäre ich vielleicht ein Weiser, so aber bin ich nur ein Fährmann, und meine Aufgabe ist es, Menschen
über diesen Fluß zu setzen. Viele habe ich übergesetzt,
Tausende, und ihnen allen ist mein Fluß nichts anderes
gewesen als ein Hindernis auf ihren Reisen. Sie reisten nach
Geld und Geschäften, und zu Hochzeiten, und zu Wallfahrten,
und der Fluß war ihnen im Wege, und der Fährmann war dazu
da, sie schnell über das Hindernis hinwegzubringen. Einige
unter den Tausenden aber, einige wenige, vier oder fünf,
denen hat der Fluß aufgehört, ein Hindernis zu sein, sie haben
seine Stimme gehört, sie haben ihm
Weitere Kostenlose Bücher