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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zugehört, und der Fluß ist
    ihnen heilig geworden, wie er es mir geworden ist. Laß uns
    nun zur Ruhe gehen, Siddhartha.«
    Siddhartha blieb bei dem Fährmann und lernte das Boot
    bedienen, und wenn nichts an der Fähre zu tun war, arbeitete er mit Vasudeva im Reisfelde, sammelte Holz, pflückte die
    Früchte der Pisangbäume. Er lernte ein Ruder zimmern, und
    lernte das Boot ausbessern, und Körbe flechten, und war
    fröhlich über alles, was er lernte, und die Tage und Monate
    liefen schnell hinweg. Mehr aber, als Vasudeva ihn lehren
    konnte, lehrte ihn der Fluß. Von ihm lernte er unaufhörlich.
    Vor allem lernte er von ihm das Zuhören, das Lauschen mit
    stillem Herzen, mit wartender, geöffneter Seele, ohne Lei-
    denschaft, ohne Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung.
    Freundlich lebte er neben Vasudeva, und zuweilen tauschten
    sie Worte miteinander, wenige und lang bedachte Worte.
    Vasudeva war kein Freund der Worte, selten gelang es Sid-
    dhartha, ihn zum Sprechen zu bewegen.
    »Hast du«, so fragte er ihn einst, »hast auch du vom Flusse
    jenes Geheime gelernt: daß es keine Zeit gibt?«
    Vasudevas Gesicht überzog sich mit hellem Lächeln.
    »Ja, Siddhartha«, sprach er. »Es ist doch dieses, was du
    meinst: daß der Fluß überall zugleich ist, am Ursprung und an
    der Mündung, am Wasserfall, an der Fähre, an der Strom-
    schnelle, im Meer, im Gebirge, überall, zugleich, und daß es
    für ihn nur Gegenwart gibt, nicht den Schatten Zukunft?«
    »Dies ist es«, sagte Siddhartha. »Und als ich es gelernt
    hatte, da sah ich mein Leben an, und es war auch ein Fluß,
    und es war der Knabe Siddhartha vom Manne Siddhartha und
    vom Greis Siddhartha nur durch Schatten getrennt, nicht
    durch Wirkliches. Es waren auch Siddharthas frühere
    Geburten keine Vergangenheit, und sein Tod und seine
    Rückkehr zu Brahma keine Zukunft. Nichts war, nichts wird
    sein; alles ist, alles hat Wesen und Gegenwart.«
    Siddhartha sprach mit Entzücken, tief hatte diese Erleuch-
    tung ihn beglückt. Oh, war denn nicht alles Leiden Zeit, war
    nicht alles Sichquälen und Sichfurchten Zeit, war nicht alles
    Schwere, alles Feindliche in der Welt weg und überwunden,
    sobald man die Zeit überwunden hatte, sobald man die Zeit
    wegdenken konnte? Entzückt hatte er gesprochen. Vasudeva
    aber lächelte ihn strahlend an und nickte Bestätigung,
    schweigend nickte er, strich mit der Hand über Siddharthas
    Schulter, wandte sich zu seiner Arbeit zurück.
    Und wieder einmal, als eben der Fluß in der Regenzeit ge-
    schwollen war und mächtig rauschte, da sagte Siddhartha:
    »Nicht wahr, o Freund, der Fluß hat viele Stimmen, sehr viele
    Stimmen? Hat er nicht die Stimme eines Königs, und eines
    Kriegers, und eines Stieres, und eines Nachtvogels, und einer
    Gebärenden, und eines Seufzenden, und noch tausend andere
    Stimmen?«
    »Es ist so«, nickte Vasudeva, »alle Stimmen der Geschöpfe
    sind in seiner Stimme.«
    »Und weißt du«, fuhr Siddhartha fort, »welches Wort er
    spricht, wenn es dir gelingt, alle seine zehntausend Stimmen
    zugleich zu hören?«
    Glücklich lachte Vasudevas Gesicht, er neigte sich gegen
    Siddhartha und sprach ihm das heilige Om ins Ohr. Und
    eben dies war es, was auch Siddhartha gehört hatte.
    Und von Mal zu Mal ward sein Lächeln dem des Fähr-
    manns ähnlicher, ward beinahe ebenso strahlend, beinahe
    ebenso von Glück durchglänzt, ebenso aus tausend kleinen
    Falten leuchtend, ebenso kindlich, ebenso greisenhaft. Viele
    Reisende, wenn sie die beiden Fährmänner sahen, hielten sie
    für Brüder. Oft saßen sie am Abend gemeinsam beim Ufer
    auf dem Baumstamm, schwiegen und hörten beide dem
    Wasser zu, welches für sie kein Wasser war, sondern die
    Stimme des Lebens, die Stimme des Seienden, des ewig Wer-
    denden. Und es geschah zuweilen, daß beide beim Anhören
    des Flusses an dieselben Dinge dachten, an ein Gespräch von
    vorgestern, an einen ihrer Reisenden, dessen Gesicht und
    Schicksal sie beschäftigte, an den Tod, an ihre Kindheit, und
    daß sie beide im selben Augenblick, wenn der Fluß ihnen et-
    was Gutes gesagt hatte, einander anblickten, beide genau
    dasselbe denkend, beide beglückt über dieselbe Antwort auf
    dieselbe Frage.
    Es ging von der Fähre und von den beiden Fährleuten et-
    was aus, das manche von den Reisenden spürten. Es geschah
    zuweilen, daß ein Reisender, nachdem er in das Gesicht eines
    der Fährmänner geblickt hatte, sein Leben zu erzählen be-
    gann, Leid erzählte, Böses bekannte,

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