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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Freund, ist Nir-
    wana. Es ist ein Gedanke.«
    Siddhartha fuhr fort: »Ein Gedanke, es mag so sein. Ich
    muß dir gestehen, Lieber: ich unterscheide zwischen Gedanken
    und Worten nicht sehr. Offen gesagt, halte ich auch von
    Gedanken nicht viel. Ich halte von Dingen mehr. Hier auf
    diesem Fährboot zum Beispiel war ein Mann mein Vorgänger
    und Lehrer, ein heiliger Mann, der hat manche Jahre lang
    einfach an den Fluß geglaubt, sonst an nichts. Er hat gemerkt,
    daß des Flusses Stimme zu ihm sprach, von ihr lernte er, sie
    erzog und lehrte ihn, der Fluß schien ihm ein Gott, viele Jahre lang wußte er nicht, daß jeder Wind, jede Wolke, jeder Vogel,
    jeder Käfer genau so göttlich ist und ebensoviel weiß und
    lehren kann wie der verehrte Fluß. Als dieser Heilige aber in
    die Wälder ging, da wußte er alles, wußte mehr als du und ich,
    ohne Lehrer, ohne Bücher, nur weil er an den Fluß geglaubt
    hatte.«
    Govinda sagte: »Aber ist das, was du >Dinge< nennst, denn etwas Wirkliches, etwas Wesenhaftes? Ist das nicht nur Trug
    der Maja, nur Bild und Schein? Dein Stein, dein Baum, dein
    Fluß - sind sie denn Wirklichkeiten?«
    »Auch dies«, sprach Siddhartha, »bekümmert mich nicht
    sehr, Mögen die Dinge Schein sein oder nicht, auch ich bin
    alsdann ja Schein, und so sind sie stets meinesgleichen. Das
    ist es, was sie mir so lieb und verehrenswert macht: sie sind
    meinesgleichen. Darum kann ich sie lieben. Und dies ist nun
    eine Lehre, über welche du lachen wirst: die Liebe, o Go-
    vinda, scheint mir von allem die Hauptsache zu sein. Die Welt
    zu durchschauen, sie zu erklären, sie zu verachten, mag großer
    Denker Sache sein. Mir aber liegt einzig daran, die Welt
    lieben zu können, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht
    zu hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und
    Bewunderung und Ehrfurcht betrachten zu können.«
    »Dies verstehe ich«, sprach Govinda. »Aber eben dies hat
    er, der Erhabene, als Trug erkannt. Er gebietet Wohlwollen,
    Schonung, Mitleid, Duldung, nicht aber Liebe; er verbot uns,
    unser Herz in Liebe an Irdisches zu fesseln.«
    »Ich weiß es«, sagte Siddhartha; sein Lächeln strahlte golden.
    »Ich weiß es, Govinda. Und siehe, da sind wir mitten im
    Dickicht der Meinungen drin, im Streit um Worte. Denn ich
    kann nicht leugnen, meine Worte von der Liebe stehen im
    Widerspruch, im scheinbaren Widerspruch zu Gotamas
    Worten. Eben darum mißtraue ich den Worten so sehr, denn
    ich weiß, dieser Widerspruch ist Täuschung. Ich weiß, daß ich
    mit Gotama einig bin. Wie sollte denn auch Er die Liebe nicht
    kennen. Er, der alles Menschensein in seiner Vergänglichkeit,
    in seiner Nichtigkeit erkannt hat, und dennoch die Menschen
    so sehr liebte, daß er ein langes, mühevolles Leben einzig
    darauf verwendet hat, ihnen zu helfen, sie zu lehren! Auch bei
    ihm, auch bei deinem großen Lehrer, ist mir das Ding lieber
    als die Worte, sein Tun und Leben wichtiger als sein Reden,
    die Gebärde seiner Hand wichtiger als seine Meinungen. Nicht
    im Reden, nicht im Denken sehe ich seine Größe, nur im Tun,
    im Leben.«
    Lange schwiegen die beiden alten Männer. Dann sprach
    Govinda, indem er sich zum Abschied verneigte: »Ich danke
    dir, Siddhartha, daß du mir etwas von deinen Gedanken gesagt
    hast. Es sind zum Teil seltsame Gedanken, nicht alle sind mir
    sofort verständlich geworden. Dies möge sein, wie es wolle,
    ich danke dir, und ich wünsche dir ruhige Tage.«
    (Heimlich bei sich aber dachte er: Dieser Siddhartha ist ein
    wunderlicher Mensch, wunderliche Gedanken spricht er aus,
    närrisch klingt seine Lehre. Anders klingt des Erhabenen
    reine Lehre, klarer, reiner, verständlicher, nichts Seltsames,
    Närrisches oder Lächerliches ist in ihr enthalten. Aber anders
    als seine Gedanken scheinen mir Siddharthas Hände und
    Füße, seine Augen, seine Stirn, sein Atmen, sein Lächeln,
    sein Gruß, sein Gang. Nie mehr, seit unser erhabener Go-
    tama in Nirwana einging, nie mehr habe ich einen Menschen
    angetroffen, von dem ich fühlte: dies ist ein Heiliger! Einzig
    ihn, diesen Siddhartha, habe ich so gefunden. Mag seine
    Lehre seltsam sein, mögen seine Worte närrisch klingen, sein
    Blick und seine Hand, seine Haut und sein Haar, alles an ihm
    strahlt eine Reinheit, strahlt eine Ruhe, strahlt eine Heiterkeit und Milde und Heiligkeit aus, welche ich an keinem anderen
    Menschen seit dem letzten Tode unseres erhabenen Lehrers
    gesehen habe.)
    Indem Govinda also dachte, und ein Widerstreit in

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