Siddharta
Freund anblickte, und hell glänzte nun auch
auf Siddharthas Gesicht dasselbe Lächeln auf. Seine Wunde
blühte, sein Leid strahlte, sein Ich war in die Einheit geflossen.
In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu
kämpfen, hörte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blühte die
Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht,
das die Vollendung kennt, das einverstanden ist mit dem Fluß
des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll
Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig.
Als Vasudeva sich von dem Sitz am Ufer erhob, als er in
Siddharthas Augen blickte und die Heiterkeit des Wissens
darin strahlen sah, berührte er dessen Schulter leise mit der
Hand, in seiner behutsamen und zarten Weise, und sagte:
»Ich habe auf diese Stunde gewartet, Lieber. Nun sie gekommen
ist, laß mich gehen. Lange habe ich auf diese Stunde ge-
wartet, lange bin ich der Fährmann Vasudeva gewesen.
Nun ist es genug. Lebe wohl, Hütte, lebe wohl, Fluß,
lebe wohl, Siddhartha!«
Siddhartha verneigte sich tief vor dem
Abschiednehmenden.
»Ich habe es gewußt«, sagte er leise. »Du wirst in die
Wälder gehen?«
»Ich gehe in die Wälder, ich gehe in die Einheit«,
sprach Vasudeva strahlend.
Strahlend ging er hinweg; Siddhartha blickte ihm
nach. Mit tiefer Freude, mit tiefem Ernst blickte er ihm
nach, sah seine Schritte voll Frieden, sah sein Haupt voll
Glanz, sah seine Gestalt voll Licht.
Govinda
Mit anderen Mönchen weilte Govinda einst während einer
Rastzeit in dem Lusthain, welchen die Kurtisane Kamala
den Jüngern des Gotama geschenkt hatte. Er hörte von
einem alten Fährmanne sprechen, welcher eine Tagereise
entfernt am Flusse wohne, und der von vielen für einen
Weisen gehalten werde. Als Govinda des Weges
weiterzog, wählte er den Weg zur Fähre, begierig, diesen
Fährmann zu sehen. Denn ob er wohl sein Leben lang
nach der Regel gelebt hatte, auch von den jüngeren
Mönchen seines Alters und seiner Bescheidenheit wegen
mit Ehrfurcht angesehen wurde, war doch in seinem
Herzen die Unruhe und das Suchen nicht erloschen.
Er kam zum Flusse, er bat den Alten um Überfahrt, und
l. da sie drüben aus dem Boot stiegen, sagte er zum Alten:
»Viel Gutes erweisest du uns Mönchen und Pilgern, viele
von uns hast du schon übergesetzt. Bist nicht auch du,
Fährmann, ein Sucher nach dem rechten Pfade?«
Sprach Siddhartha, aus den alten Augen
lächelnd:
| »Nennst du dich einen Sucher, o Ehrwürdiger, und bist
doch schon hoch in den Jahren und trägst das Gewand der
Mönche Gotamas?«
»Wohl bin ich alt«, sprach Govinda, »zu suchen aber habe
ich nicht aufgehört. Nie werde ich aufhören zu suchen, dies
scheint meine Bestimmung. Auch du, so scheint es mir, hast
gesucht. Willst du mir ein Wort sagen, Verehrter?«
Sprach Siddhartha: »Was sollte ich dir, Ehrwürdiger, wohl
zu sagen haben? Vielleicht das, daß du allzuviel suchst? Daß
du vor Suchen nicht zum Finden kommst?«
»Wie denn?« fragte Govinda.
»Wenn jemand sucht«, sagte Siddhartha, »dann geschieht es
leicht, daß sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht,
daß er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag,
weil er nur immer an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat,
weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heißt: ein Ziel haben.
Finden aber heißt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben. Du, Ehrwürdiger, bist vielleicht in der Tat ein Sucher, denn,
deinem Ziel nachstrebend, siehst du manches nicht, was nah
vor deinen Augen steht.«
»Noch verstehe ich nicht ganz«, bat Govinda, »wie meinst
du das?«
Sprach Siddhartha: »Einst, o Ehrwürdiger, vor manchen
Jahren, bist du schon einmal an diesem Flusse gewesen und
hast am Fluß einen Schlafenden gefunden, und hast dich zu
ihm gesetzt, um seinen Schlaf zu behüten. Erkannt aber, o
Govinda, hast du den Schlafenden nicht.«
Staunend, wie ein Bezauberter, blickte der Mönch in des
Fährmanns Augen.
»Bist du Siddhartha?« fragte er mit scheuer Stimme. »Ich
hätte dich auch dieses Mal nicht erkannt! Herzlich grüße ich
dich, Siddhartha, herzlich freue ich mich, dich nochmals zu
sehen! Du hast dich sehr verändert, Freund. und nun bist du
also ein Fährmann geworden?«
Freundlich lachte Siddhartha. »Ein Fährmann, ja. Manche,
Govinda, müssen sich viel verändern, müssen allerlei
Gewand tragen, ihrer einer bin ich, Lieber. Sei willkommen,
Govinda, und bleibe die Nacht in meiner
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