Siddharta
künftige
Buddha, seine Zukunft ist alle schon da, du hast in ihm, in dir, in jedem den werdenden, den möglichen, den verborgenen
Buddha zu verehren. Die Welt, Freund Govinda, ist nicht
unvollkommen, oder auf einem langsamen Wege zur
Vollkommenheit begriffen: nein, sie ist in jedem Augenblick
vollkommen, alle Sünde trägt schon die Gnade in sich, alle
kleinen Kinder haben schon den Greis in sich, alle Säuglinge
den Tod, alle Sterbenden das ewige Leben. Es ist keinem
Menschen möglich, vom anderen zu sehen, wie weit er auf
seinem Wege sei, im Räuber und Würfelspieler wartet Bud-
dha, im Brahmanen wartet der Räuber. Es gibt in der tiefen
Meditation die Möglichkeit, die Zeit aufzuheben, alles gewe-
sene, seiende und sein werdende Leben als gleichzeitig zu se-
hen, und da ist alles gut, alles vollkommen, alles ist Brah-
man. Darum scheint mir das, was ist, gut, es scheint mir Tod
wie Leben, Sünde wie Heiligkeit, Klugheit wie Torheit, alles
muß so sein, alles bedarf nur meiner Zustimmung, nur meiner
Willigkeit, meines liebenden Einverständnisses, so ist es für
mich gut, kann mir nie schaden. Ich habe an meinem Leibe
und an meiner Seele erfahren, daß ich der Sünde sehr
bedurfte, ich bedurfte der Wollust, des Strebens nach Gütern,
der Eitelkeit und bedurfte der schmählichsten Verzweiflung,
um das Widerstreben aufgeben zu lernen, um die Welt lieben
zu lernen, um sie nicht mehr mit irgendeiner von mir
gewünschten, von mir eingebildeten Welt zu vergleichen,
einer von mir ausgedachten Art der Vollkommenheit, sondern
sie zu lassen, wie sie ist, und sie zu lieben, und ihr gerne
anzugehören. - Dies, o Govinda, sind einige von den
Gedanken, die mir in den Sinn gekommen sind.«
Siddhartha bückte sich, hob einen Stein vom Erdboden auf
und wog ihn in der Hand.
»Dies hier«, sagte er spielend, »ist ein Stein, und er wird in
einer bestimmten Zeit vielleicht Erde sein, und wird aus Erde
Pflanze werden, oder Tier oder Mensch. Früher nun hätte ich
gesagt: >Dieser Stein ist bloß ein Stein, er ist wertlos, er gehört der Welt der Maja an: aber weil er vielleicht im Kreislauf der
Verwandlungen auch Mensch und Geist werden kann, darum
schenke ich auch ihm Geltung.< So hätte ich früher vielleicht gedacht. Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist
auch Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals dies oder jenes werden
könnte, sondern weil er alles längst und immer ist -und gerade
dies, daß er Stein ist, daß er mir jetzt und heute als Stein
erscheint, gerade darum liebe ich ihn, und sehe Wert und Sinn
in jeder von seinen Adern und Höhlungen, in dem Gelb, in
dem Grau, in der Härte, im Klang, den er von sich gibt, wenn
ich ihn beklopfe, in der Trockenheit oder Feuchtigkeit seiner
Oberfläche. Es gibt Steine, die fühlen sich wie Öl oder wie
Seife an, und andre wie Blätter, andre wie Sand, und jeder ist
besonders und betet das Om auf seine Weise, jeder ist Brahman,
zugleich aber und ebensosehr ist er Stein, ist ölig oder seifig, und gerade das gefällt mir und scheint mir wunderbar und der
Anbetung würdig. - Aber mehr laß mich davon nicht sagen.
Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer
alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein
wenig verfälscht, ein wenig närrisch -ja, und auch das ist sehr gut und gefällt mir sehr, auch damit bin ich sehr einverstanden, daß das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem
ändern immer wie Narrheit klingt.«
Schweigend lauschte Govinda.
»Warum hast du mir das von dem Steine gesagt?« fragte er
nach einer Pause zögernd.
»Es geschah ohne Absicht. Oder vielleicht war es so ge-
meint, daß ich eben den Stein, und den Fluß, und alle diese
Dinge, die wir betrachten und von denen wir lernen können,
liebe. Einen Stein kann ich lieben, Govinda, und auch einen
Baum oder ein Stück Rinde. Das sind Dinge, und Dinge kann
man lieben. Worte aber kann ich nicht lieben. Darum sind
Lehren nichts für mich, sie haben keine Härte, keine Weiche,
keine Farben, keine Kanten, keinen Geruch, keinen
Geschmack, sie haben nichts als Worte. Vielleicht ist es dies,
was dich hindert, den Frieden zu finden, vielleicht sind es die vielen Worte. Denn auch Erlösung und Tugend, auch Sansara und Nirwana sind bloße Worte, Govinda. Es gibt kein
Ding, das Nirwana wäre; es gibt nur das Wort Nirwana.«
Sprach Govinda: »Nicht nur ein Wort,
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