Sie fielen vom Himmel
an die Mauer und beugte sich hinüber. Deutlich konnte er durch das Fernglas erkennen, wie Dr. Pahlberg den Verletzten zur Operation vorbereitete. Wie in einem großen OP pinselte er den vorgesehenen Operationsraum mit Jod ein … ein amerikanischer Sanitäter kniete am Kopf des Inders, Äther und Maske in der Hand, falls er durch die Operationsschmerzen aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit erwachen sollte.
»Das ist doch unmöglich«, stotterte v. Sporken. »Mein Gott, ich hätte nie geglaubt, daß es solche Männer gibt …«
Krankowski jagte den Hang hinab. Die große Ledertasche mit dem chirurgischen Besteck pendelte in seiner Hand und riß den Körper im Laufen vorwärts. Unter der großen Zeltplane, die von sechs amerikanischen Sanitätern über Pahlberg, Bolton und den Verwundeten gehalten wurde, im Wind, der den Regen schräg unter die Plane über die knienden Männer trieb, vollzog sich ein Wunder männlicher Entschlossenheit und ärztlicher Operationskunst.
»Für große Asepsis haben wir keine Zeit«, sagte Bolton, als er Dr. Pahlberg seine Instrumente aus sterilen Tüchern wickeln sah und mit Verblüffung in einem geschlossenen und sterilen Gefäß sogar zwei Gummihandschuhe bemerkte, die sich Dr. Pahlberg überzog.
Der deutsche Arzt nickte. »Das ganze Sterile ist in dieser Sekunde doch schon vorbei.« Er sah auf die Erde, auf den Regen, der von der schmutzigen Zeltplane heruntertropfte, auf seine Hände, die ungewaschen in den gelben Handschuhen staken. Er mußte sogar lächeln – welche Angewohnheiten man doch beibehält, welche verschrobenen Eigenschaften. Sogar auf der Erde wird Wert auf Handschuhe gelegt. Er nahm das Skalpell, das ihm Krankowski reichte, und zeigte auf die jodbraune Stelle, in deren Mitte der Einschuß lag. Mit einem schnellen, bogenförmigen Schnitt öffnete er die Haut und die darunterliegende Muskelschicht. Dr. Bolton klammerte ab, tupfte das wenige austretende Blut weg und zog mit scharfen Wundhaken den Einschnitt auseinander. Keiner der herumstehenden Männer sprach ein Wort. Lautlos, gespensterhaft still vollzog sich unter ihren Augen die Rettung eines Menschen. Nur der Regen, der auf die gespannte Zeltplane klatschte, unterbrach die Feierlichkeit der Stunde; ab und zu durchfuhr ein Zittern den Körper des Verwundeten, und ein leises Röcheln hob die Brust. Der die Atmung und den Puls kontrollierende amerikanische Sanitäter nickte den Ärzten beruhigend zu. »O. K.«, sagte er leise.
»Geben Sie langsam Blut«, sagte Pahlberg. Er hatte die zerrissene Niere freigelegt, und Bolton unterband nach seinen Angaben die großen Blutgefäße. Aus der Blutkonserve floß, durch einen Hahn geregelt, träge das Blut in die Armvene des Inders. Krankowski starrte auf die Hände Dr. Pahlbergs. Nie in seinem Leben würde er diese Stunde vergessen, diese wahnsinnige Operation zwischen Felsen, Erde, Dreck und einem Regen, der alles um sie herum in einen Morast verwandelte.
»Bitte Licht!«
Krankowski beugte sich über die Schulter Pahlbergs und leuchtete mit den starken Handscheinwerfern in das Innere der großen Operationswunde. Er sah die freipräparierte Niere und wußte, daß Pahlberg sie jetzt exstirpieren wollte. Die Amerikaner rollten eine Zeltplane gegen die Windrichtung an der Seite herunter und schirmten so den Sprühregen über dem Verletzten ab. Dr. Boltons Schulter war völlig durchnäßt, hier tropfte durch eine Rinne der Zeltplane gleichmäßig der Regen auf seinen Mantel. Er hatte das Gefühl, daß dieser Teil der Schulter taub und gefühllos würde, daß ein kalter Stahl sich langsam, ganz widerlich langsam in sein Schulterfleisch bohre und sich zum Knochen vortaste. Aber er blieb an der Seite Pahlbergs knien und starrte auf die Hände des Deutschen, die sicher, schnell, ohne ein Zeichen der Erregung arbeiteten, so, als läge der Patient auf einem nickelglänzenden OP-Tisch im Operationsraum III der Münchener Chirurgischen Universitätsklinik.
»Ich komme zur Exstirpation!«
Die Stimme Dr. Pahlbergs war ruhig. Er löste die zerrissene Niere, behielt sie eine Sekunde in der Hand und zeigte sie dann Dr. Bolton … ein blutiger Klumpen, in dem sich das Projektil gefangen und die Niere zerfetzt hatte. »Ein weiter Schuß«, sagte Pahlberg. »Er hatte nicht mehr die Kraft, den Körper ganz zu durchschlagen, sondern blieb in der Niere hängen. Damit hat der arme Kerl zwei Tage herumgelegen … wir können von Glück reden, wenn er nicht schon eine Urämie bekommen
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