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Sie fielen vom Himmel

Sie fielen vom Himmel

Titel: Sie fielen vom Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hat.«
    Dr. Bolton nickte mit zusammengepreßten Lippen. Er war selbst Arzt, ein guter Arzt sogar, den man in Massachusetts schätzte, der als ein Könner seines Faches galt und verschiedene Referate auf internistischen Kongressen gehalten hatte. Er hatte oft bei den Kollegen der Chirurgie als Coronarfachmann beratend neben dem OP-Tisch gestanden und Operationen erlebt, die später in den Fachblättern und vor allem in der Presse als Großtaten der Medizin gewertet wurden. Aber keine dieser aus dem Vollen des Materials und der klinischen Möglichkeiten schöpfenden Operationen hatte ihn so ergriffen, hatte ihn so vollkommen in den Bann geschlagen wie diese Nierenexstirpation auf der Erde des Monte Cassino im strömenden Regen eines süditalienischen Himmels. Die amerikanischen Sanitäter sahen stumm auf die Niere, die Bolton seitwärts in den Schmutz des Weges warf. Ein blutiger Fetzen Fleisch, über den das Wasser rann und auf den der Regen mit dicken, harten Tropfen trommelte. Krankowskis Hand mit den Scheinwerfern zitterte. Dr. Pahlberg schaute kurz auf. »Kalt, nicht wahr, Krankowski?«
    »Ja, Herr Stabsarzt.«
    »Wir trinken nachher einen Grog, dann wird es besser.«
    »Jawohl, Herr Stabsarzt.«
    Krankowski riß sich zusammen und hielt die Lampen ruhig. Er zitterte nicht vor Kälte; die Erregung der vergangenen Minuten, das Ungeheuerliche, das er erlebte, hatte seine Nerven ergriffen und ließ seinen Körper wie in einem Krampf durchrütteln.
    »Ich werde die Wunde nur tamponieren und offenhalten«, sagte Dr. Pahlberg zu Dr. Bolton. »Sie bringen den Mann doch gleich in Ihr Lazarett? Die Wunde muß noch antiseptisch behandelt werden, vor allem geben Sie ihm reichlich von jenem Wundermittel, das die Amerikaner haben sollen. Von diesem Penicillin, so heißt es wohl? Ich habe davon gehört. Eine Konkurrenz unserer Sulfonamide.«
    »Und besser, Herr Kollege.«
    »Vielleicht. Ich kenne es nicht. Wenn der irrsinnige Krieg zu Ende ist, wird es ja wohl auch nach Deutschland kommen.«
    »Bestimmt.« Dr. Bolton half bei der Austamponierung und bei dem Anlegen des dicken Transportverbandes. »Ich werde Penicillinpuder in die Wunde geben und intramuskulär täglich 4mal 200.000 Einheiten.«
    Dr. Pahlberg hob die Schultern. »Sie werden es wissen, Herr Kollege. Ich kann mir unter 200.000 Einheiten noch nichts vorstellen.«
    Er erhob sich von den Knien, steif in den Muskeln, mit fast abgefrorenen Füßen. Die amerikanischen Sanitäter wickelten den Operierten in eine Decke, legten eine Zeltbahn über ihn und trugen ihn mit der Bahre weg zu einem kleinen Lazarettwagen, der in der Ebene wartete.
    Dr. James Bolton reichte Dr. Pahlberg die Hand hin. »Ich danke Ihnen«, sagte er schlicht.
    Pahlberg lächelte schwach. Jetzt, nach der Operation, überfiel ihn die Erschöpfung. Er hatte das Gefühl, daß seine Nerven sich kräuselten wie der Wollfaden eines aufgezogenen Pullovers; durch seinen Körper lief ein Kribbeln und eine Unruhe, die sein Herz wie wahnsinnig schlagen ließ. »Es war selbstverständlich, Mr. Bolton.«
    Der Amerikaner nickte. »Es war mehr als eine Operation, Herr Kollege. Wir haben heute das Absurde des Krieges demonstriert.« Er blickte auf seine Uhr und nickte schwer. »In einer Stunde ist die verabredete Waffenruhe zu Ende. Dann liegen Sie dort oben in dem herrlichen, auch durch Irrsinn zerstörten Kloster … ich werde dort unten in der Ebene hinter den Panzerbereitschaftsstellungen in meinem Lazarett stehen, und wir beide warten auf die zerfetzten Leiber unserer Brüder. Und sollten wir uns dann sehen, dann sind wir Feinde, lieber Kollege. Dann werden wir sogar aufeinander schießen, werden versuchen, möglichst schnell den anderen zu töten. Mit allen Mitteln der modernen Waffentechnik.« Er hielt noch immer die Hand Pahlbergs fest und drückte sie jetzt hart. »Können Sie mir sagen, warum wir dies tun? Wir sind doch Kameraden, Herr Pahlberg. Wir sind Freunde, wenn ich es wagen darf, das zu sagen. Sie wollten keinen Krieg – ich will ihn nicht. Wir beide verabscheuen ihn, denn wir sehen ihn stündlich, minütlich mit seinem wahren Gesicht – die Toten, die Verstümmelten, die schreienden Sterbenden, die Zerfetzten, die Blinden, die Verblödeten. Und wir werden uns weiter beschießen, wir werden uns töten, wir Freunde. Warum bloß, frage ich?«
    Dr. Pahlberg zog die Hand zurück. Er stand wie Bolton im strömenden Regen, durchgeweicht, von der Operation ermüdet, frierend und hungernd.
    »Warum fragen

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