Sie fielen vom Himmel
Gottschalk aß mit, kopfschüttelnd und ungläubig. »Wo habt ihr das Schwein her?!« fragte er zum viertenmal.
Feldwebel Maaßen nahm dienstliche Haltung an. »Es lief in unserem Minenfeld herum, Herr Hauptmann. Um die Minen nicht hochgehen zu lassen, habe ich dem Stabsgefreiten Klein befohlen, das Schwein zu erschießen. Unter Lebensgefahr haben wir es dann aus dem Minenfeld geborgen.«
Hauptmann Gottschalk blickte hinüber zu Leutnant Weimann, der mit vollen Backen an einem Kotelettstück kaute. »Glauben Sie das, Weimann?«
»Nein. Herr Hauptmann.«
»Ich auch nicht.« Gottschalk drehte sich um. »Küppers – geben Sie mir noch ein Stück. Es schmeckt wunderbar …«
Im Feldlazarett von Eboli traf Stabsarzt Dr. Pahlberg genau das an, was er erwartet hatte.
Oberstabsarzt Dr. Paul Heitmann und Unterarzt Dr. Klaus Christopher standen an zwei Operationstischen, wechselten nach jeder vierten Operation die blutbespritzten Gummischürzen und gaben sich keine Mühe mehr, den über das Gesicht rinnenden Schweiß von einem der Sanitäter abtupfen zu lassen. »Antiseptisch zu arbeiten ist ein tödlicher Luxus, wenn 500 Schwerverwundete draußen vor der Tür liegen«, war die Ansicht Dr. Heitmanns. »Es ist leichter, eine Wundinfektion zu behandeln, als fünfzig zum Leben zu erwecken, die wir bei schnellem Operieren hätten retten können!« Diese Umkehrung der schulmäßigen Chirurgie hatte ihn zuerst entsetzt, dann lernte er einsehen, wie wahr der barbarische Ausspruch Dr. Heitmanns war. In der Zeit, in der man sich zwischen den Operationen die Hände schrubbte, frische Wäsche anzog, seine Hände in antiseptische Lösungen legte und die Instrumente neu auskochte, während dieser langen Vorbereitungen starben draußen auf den Bahren und in den blutigen Zeltbahnen die Verwundeten. Im Kriege hieß auch das Gesetz des Chirurgen: Improvisation steht vor Schule! Die Schnelligkeit und Exaktheit eines Eingriffs, der Mut des Operateurs zum Wagnis und sein Können entschieden über Leben und Tod.
Dr. Heitmann sah über die Schulter hinweg zu Dr. Pahlberg hinüber. Er nickte kurz und streckte die Hand nach hinten aus. Der Sani Gustav Drage reichte ihm Knochenschere und Klemme.
»Sie können gleich an Tisch 3, Pahlberg!« rief Dr. Heitmann. »Draußen liegt eine Spezialität von Ihnen: Schuß durch die Milz. Sie müssen exstirpieren …«
»Ist die Lunge verletzt? Das Zwerchfell? Wir haben doch keinen Überdruck-Äthernarkose-Apparat hier!«
Dr. Heitmann beugte sich über das Operationsfeld an seinem Tisch. Unter blutigen Tüchern lag ein aufgerissener Oberschenkel. Der Narkotisierte röchelte. »Ich habe ihn nur flüchtig untersucht. Draußen liegen noch dreiundvierzig Mann …« Die Knochenschere knackte … Gustav Drage hielt Gefäßklemmen hin und zog mit scharfen Wundhaken den Schnitt und die Wunde auseinander.
An Tisch 1 stand der Unterarzt Dr. Christopher und zog mit einer spitzen Pinzette winzige Granatsplitter aus einem gelblichen, schmächtigen Körper. Der Junge – Pahlberg schätzte ihn auf achtzehn – weinte in der Narkose. Es war das Greinen eines Säuglings, schauerlich, ergreifend, das zuhörende Gehirn zermarternd.
Sanitäts-Unteroffizier Otto Krankowski reichte ihm seinen weißen Mantel und die lange, bis zum Boden reichende Gummischürze. »Wir haben Sie sehr vermißt, Herr Stabsarzt«, flüsterte er Dr. Pahlberg zu, als er den weißen Mantel am Rücken zuknöpfte. »Als der Mist hier losging, verlor der Oberstabsarzt den Kopf. ›Ich bin praktischer Arzt und kein Chirurg!‹ hat er geschrien, als die ersten Schwerverletzten ankamen. Aber er hat dann doch operiert, und es ging ganz gut. Wir haben alle aufgeatmet, als Sie endlich eintrafen.«
Dr. Pahlberg nahm die Gummihandschuhe aus der Steriltrommel. Trotz Heitmanns Improvisationstheorie hatte er wenigstens die Handschuhe beibehalten. »In der Geschichte der Chirurgie haben Ärzte mit ihren bloßen Händen mehr Menschen getötet als sämtliche Seuchen und Epidemien zusammen!« hatte er einmal zu Dr. Heitmann gesagt. Seitdem wurde es geduldet, daß eine besondere Steriltrommel die Handschuhe Dr. Pahlbergs enthielt.
Tisch 3 war unterdessen vorbereitet worden. Man hatte ihn einfach mit einem Lappen und steriler Lösung abgewaschen, ein paar Tücher darüber gelegt und den Instrumententisch daneben gestellt. Unteroffizier Krankowski tauchte seine Hände einfach in eine Sublimatlösung und ließ sie, von sich abhaltend, abtropfen. »Wir können, Herr
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