Sie fielen vom Himmel
Magen heran. Inmitten eines Blutsees versuchte er, den Abbindfaden unter dem Strang durchzuschieben, um ihn an der anderen Seite mit einer Schlinge zuzuziehen und so den Strang abzubinden. Dann mußte die Bursa omentalis durchschnitten werden, die Bauchfelltasche, um an die großen Milzgefäße heranzukommen. Als nächstes würde er die Milzvene zu den Füßen abbinden. Alles andere war dann Routinearbeit … das einzelne Abbinden der restlichen Haltestränge der Milz, die Doppelsicherung der Gefäßabbindungen, um ein Abrutschen der Fäden von der glatten Arterienwand zu verhindern, was eine Verblutung zur Folge haben würde … alles war so einfach, wenn er die Schlinge um den Strang zwischen Milz und Magen legen konnte …
Der Schweiß rann Dr. Pahlberg über das Gesicht und verhinderte ein genaues Sehen. Verzweifelt versuchte Dr. Heitmann, das Blut wegzutupfen und durch große Mullagen, die Kompressen ersetzen mußten, aufzusaugen. Einmal glaubte Pahlberg, das andere Ende des Fadens unter dem Strang hindurchgezogen zu haben … er griff in das Blut hinein, tastete an der glatten Wand des Stranges entlang und fühlte die Schlinge des Fadens. Als er mit den Fingerspitzen Zugriff, glitt sie weg. Er richtete sich auf, wischte mit dem Ärmel wieder über die Augen und sah, daß er naß von Schweiß war.
»Ich bekomme den Faden nicht herum«, stöhnte er. »Mit einer Rillensonde wäre es eine Sekundenarbeit …«
»Hören Sie auf mit Ihrer Rillensonde!« schrie Dr. Heitmann unbeherrscht. »Ich kann mir keine aus den Rippen schneiden.« Seine Stimme überschlug sich.
Von Tisch 1 kam Unterarzt Dr. Christopher herüber. Sein Patient mit den vielen kleinen Granatsplittern im Körper war weggetragen worden. Der neue Verwundete, eine große Fleischwunde im Rücken, wurde von dem Sanitäter Gustav Drage auf den Bauch gelegt und lokalanästhetisiert.
Dr. Pahlberg schüttelte wild den Kopf. Er griff wieder in die blutüberschwemmte Bauchhöhle und tastete in ihr herum. Der Faden, durchzuckte es ihn. Der Faden … mein Gott, hilf mir doch, den Faden um den Strang zu schlingen. Es geht um Minuten, es geht um ein Leben …
Am Kopf des Verwundeten kontrollierte Krankowski die Atmung und den Puls. Er beugte sich jetzt über den wachsbleichen Mann und legte seine Hand auf dessen offenen Mund. »Er atmet nicht mehr«, sagte er erschrocken.
»Was heißt, er atmet nicht mehr?!« schrie Pahlberg laut. »Puls … wie ist der Puls?«
Krankowskis zitternde Hand griff nach dem Puls. »Nicht mehr tastbar«, sagte er leise.
»Exitus.« Dr. Heitmann warf die Mullpacken hin und gab dem Eimer mit den voll Blut gesogenen Tupfern einen Tritt. »Verblutet, Pahlberg …«
Dr. Pahlberg beugte sich über den Kopf des Toten. Er hob mit seinen blutbeschmierten Fingern die Augenlider empor. Sie waren gebrochen, glanzlos, ein gläserner, seelenloser Augapfel. Er tastete nach dem Puls, er riß Dr. Heitmann das Stethoskop aus der oberen Tasche und lauschte atemlos auf das geringste Zeichen eines Klopfens, auf ein Rauschen nur, ein ganz leises, zaghaftes Pochen.
Dr. Heitmann sah zu Dr. Christopher hinüber und schüttelte den Kopf. »Es hat doch keinen Zweck mehr, Pahlberg. Finden Sie sich damit ab.«
Dr. Pahlberg richtete sich auf. Sein Gesicht war wächsern wie das des Toten vor ihm. Er trat an das Operationsfeld heran – das Blut gerann in der riesigen Wunde. Wie ein Hohn schwamm in diesem roten See der dünne Faden, an dem das Leben des Mannes hing … der dünne Abbindfaden, der den Blutstrom der Milzgefäße dämmen sollte.
Langsam löste Dr. Pahlberg die großen Klemmen, die das Bauchfell auseinanderhielten, er löste die scharfen Wundhaken, die die Wunde auseinanderrissen … er klappte den Bauch zu und deckte ein Tuch über den verstümmelten Leib.
»Gefallen für Großdeutschland«, sagte hinter ihm sarkastisch Dr. Heitmann.
Dr. Pahlberg fuhr herum. »Nein!« schrie er unbeherrscht. »Ermordet vom Heeressanitätswesen! Ermordet, Heitmann, ermordet!«
Oberstabsarzt Dr. Heitmann zog indigniert die Augenbrauen hoch. Er blickte hinüber zu den anderen Verwundeten, die stumpf und mit verzerrten Gesichtern zu ihnen herübersahen. »Nehmen Sie sich zusammen, Pahlberg«, sagte er in kameradschaftlichem Ton, aber scharf genug, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Haben Sie noch keinen Menschen sterben sehen?! Im OP zu Hause und hier an der Front?! Wir haben Krieg!«
»Ich hätte ihn retten können!« Dr. Pahlberg sah auf seine
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