Sie fielen vom Himmel
Stabsarzt«, sagte er.
Der Verwundete mit der zerrissenen Milz wurde hereingetragen. Das blasse, gelblich-weiße Gesicht war mit Schweiß überzogen. Der Atem stieß röchelnd aus dem offenen Mund. Dr. Pahlberg beugte sich vor und faßte den Puls. Er war weich und stark beschleunigt.
»Wenn Sie gläubig sind, dann beten Sie jetzt«, sagte er leise. Mit schnellem Schnitt trennte er das Bauchfell durch, Krankowskis lange Klemmen griffen nach den Schnitträndern und zogen das Bauchfell auseinander. Die Bauchhöhle lag vor ihnen … gefüllt mit Blut. Geronnenem Blut in dicken Klumpen, frischem Blut, das aus dem Untergrund des Bauches hervorquoll und die Höhle ausfüllte wie einen See.
»Tupfer!« Dr. Pahlberg atmete schwer. Die Milz war zerstört, es gab jetzt keinen Zweifel mehr. Das blutreichste Organ des menschlichen Körpers lag zerrissen in der Tiefe der Bauchhöhle. Er versuchte, mit den Tupfern das Blut aufzusaugen, um einen freieren Überblick zu gewinnen.
Krankowski räumte die Bauchhöhle von den Blutklumpen frei. »Wir müssen die blutzuführenden Adern der Milz abklemmen. Der Mann verblutet uns ja auf dem Tisch!«
Von Tisch 2 herüber kam Dr. Heitmann. Er hatte die Gummihandschuhe ausgezogen und beugte sich über die riesige Bauchwunde.
»Die Rillensonde, bitte«, sagte Dr. Pahlberg zu Krankowski. Er wischte mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und wurde sich erschrocken bewußt, daß er damit die primitivste Vorsicht des Chirurgen verletzt hatte.
Krankowski starrte den Stabsarzt verblüfft an. »Was für eine Rillensonde?« fragte er.
»Mann Gottes – um an die Gefäße heranzukommen!«
Dr. Heitmann sah zu Boden. Er schob die Unterlippe vor und hob die Schultern. »Wir haben keine Rillensonde hier.«
Pahlberg erbleichte. Er stand vor dem geöffneten Bauch, hatte das Bauchfell durchtrennt, er wollte die Milz exstirpieren und mußte dazu das gefäßführende Band durchtrennen, das zwischen Milz und Magen verläuft. Ohne Durchtrennung dieses Bandes, ohne Öffnung der Bauchfelltasche, ohne völlige Lahmlegung des Blutstromes zur Milz aus den dicken Adern war eine Exstirpation nicht möglich. »Das ist doch nicht möglich«, sagte er leise. Dr. Heitmann biß die Lippen aufeinander. »Wir sind ein dummes, kleines Feldlazarett, Pahlberg. In Ihrer chirurgischen Universitätsklinik haben Sie hundert Rillensonden … hier haben wir gerade genug Material, um Beine und Arme abzuschneiden. Was darüber eingeliefert wird« – er sah auf den großen Schnitt und auf das Blut, das sich noch immer in der offenen Bauchhöhle sammelte und den Tupfern widerstand –, »Sie kennen doch den Text, Pahlberg: Gefallen für Großdeutschland, in stolzer Trauer …« Seine Stimme war sarkastisch und schwankte vor der Ungeheuerlichkeit, der er gegenüberstand.
Dr. Pahlberg kniff die Augen zusammen. Er blickte auf das wächserne Gesicht des Mannes. Vielleicht 40 Jahre alt … sicherlich verheiratet – Vater eines Kindes … Im letzten Urlaub war er mit seiner Frau spazierengegangen, an der Weser entlang. Sie hatten sich auf eine Wiese gesetzt und auf das in der Sonne silbern schillernde Band des Flusses geblickt. »Wenn der Krieg zu Ende ist, woll'n wir uns hier ein Häuschen bauen«, hatte er gesagt. »Dann haben die Kinder Licht und Luft, und sonntags liegen wir im Liegestuhl, hören Radio und können uns so richtig erholen. Was, Elise?« Und Elise hatte genickt, sich glücklich an ihn geschmiegt und ihn geküßt. »Mußt du morgen wirklich wieder weg?« fragte sie. Er nickte und schwieg. Es war sein letzter Urlaub gewesen … er kam nach Italien, er machte die Entwaffnung der italienischen Armee mit, er wurde nach Tarent geworfen, als Montgomerys 8. Armee dort landete, und er bekam bei Eboli seinen Milzschuß und mußte sterben, weil ein deutsches Lazarett keine Rillensonde hatte.
»Weitermachen!« sagte Dr. Pahlberg hart.
»Sie sind verrückt!« Dr. Heitmann schob Krankowski zur Seite. »Wie wollen Sie an die Gefäße heran? Wie wollen Sie sie abbinden?«
»Mit der Hand, lieber Heitmann, mit der Hand! Ich gebe erst auf, wenn ich mich selbst aufgebe …«
Er griff mit beiden Händen in die Tiefe der Bauchhöhle. Dann zog er sie zurück, streifte die Gummihandschuhe ab und tauchte die bloßen Hände in das Blut. Die Schutzschicht des Gummis hemmte sein Fingerspitzengefühl … auf das allein kam es jetzt an, auf die Millimeterarbeit seiner Hände. Dr. Pahlberg tastete sich an den dicken Strang zwischen Milz und
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