Sie fielen vom Himmel
»Jawoll, Herr Hauptmann« klang dünn. Theo Klein wollte einen Kommentar geben, aber Küppers kniff ihn in die Seite. »Schnauze, Theo«, raunte er. »Heute nacht machen wir einen Spähtrupp in diese Gegend.«
Theo Klein grinste breit. Gottschalk sah ihn verwundert an. »Was lachen Sie so blöd, Stabsgefreiter?«
»Ich dachte an meine Schwester, Herr Hauptmann.«
Gottschalk zog die Augenbrauen hoch. Er war manches von seinen Männern gewohnt, aber diese Antwort verblüffte ihn vollständig. »An Ihre Schwester?«
»Jawoll, Herr Hauptmann.« Theo Klein stand stramm wie ein Eichenstamm. »Meine Schwester sagte immer, wenn sie abends nach Hause kam: Theo, sagte sie, nun hat mir der Fritz wieder nichts getan. Wenn er morgen wieder so stur ist, wechsele ich, man muß ja Angst haben, als Jungfrau zu sterben …«
Wortlos wandte sich Hauptmann Gottschalk ab und ging zu seinem Kübelwagen. Während er ging, schüttelte er immer wieder den Kopf. Es war unbegreiflich, völlig unbegreiflich. Vier Jahre Krieg, vier Jahre nur im Dreck, vier Jahre an allen Fronten, von Narvik bis Sizilien, dreißigmal abgesprungen, den Tod vor Augen, mitten hinein in das feindliche Maschinengewehrfeuer, das die Leute schon beim Niederschweben erfaßte und die Hälfte von ihnen als Tote landen ließ. Immer die Hölle vor sich, nie Ruhe, nie Besinnung auf die inneren Werte, immer nur Kampf, Töten und Überleben … Woher nahmen die Kerle die Kraft, so zu sein, so kaltschnäuzig, so vulkanisch in ihrer Lebensäußerung?! War es Angst vor dem Morgen, Galgenhumor, bitterer Ernst, verpackt in Illusionen? Er wußte darauf keine Antwort.
Die Gruppe Maaßen marschierte wieder nach vorn. Eifersüchtig hatte Theo Klein darüber gewacht, daß auch Müller 17 auf seinen Verpflegungswagen kletterte und abfuhr. Die Straße staubte unter ihren Schritten, die dicken Gummisohlen der Springerschuhe knirschten. Ihre ›Knochensäcke‹, die Kombinationen, waren dreckig, zerrissen, verblichen. Die randlosen Helme klapperten an den Koppeln. Heinrich Küppers' Brotbeutel schlug prall gegen seine Kniekehlen, wenn er ging. Gottschalk wußte: Er schleppte sieben amerikanische Schinkenbüchsen mit sich herum. Hans Pretzel, der Melder und Cheffahrer, sah zu Gottschalk hinauf. – »Abfahren, Herr Hauptmann?«
»Ja. Langsam den sechsen nach. Die kriegen es fertig und machen kehrt, wenn wir außer Sicht sind.« Er verbeugte sich vor dem italienischen Mädchen, das allein, mit großen Augen, die Situation nicht begreifend, im Hof stand, und legte grüßend die Hand an die Mütze. Das Mädchen nickte freundlich zurück und winkte. Es sah so rührend aus, so kindlich, so voller Vertrauen, daß Gottschalk schluckte. Er dachte an die Hände Theo Kleins und an die Bullenkraft seines Körpers.
»Fahren Sie ganz langsam, Gefreiter«, sagte er zu Pretzel. »Ich bringe die Kerle vor ein Kriegsgericht, wenn sie dem Mädchen auch nur ein Haar krümmen!«
Der nächtliche Spähtrupp Heinrich Küppers' und Theo Kleins fand nicht statt.
In der Nacht zum 14. September, um 23.39 Uhr, sprangen aus 90 Transportmaschinen 1.300 Fallschirmjäger mit voller Kampfausrüstung über dem Landekopf Salerno ab. In einem Gebiet vor 1,2 qkm schwebten sie lautlos vom Himmel, rollten sich am Boden ab, unterliefen die Schirme, klinkten sich los und bildeten eine neue Kampflinie. Um 2 Uhr morgens summten 131 Flugzeuge über die Küste, mächtige C47, die über einem bestimmten Planquadrat kreisten und dann aus ihren Leibern Hunderte weißer Punkte warfen. 1.900 Fallschirmjäger fielen vom Himmel, ohne daß von der Erde ein einziger Schuß ihnen entgegenpeitschte. 40 weitere C47 überflogen in großer Höhe die deutschen Divisionen, gingen bei Avellino, südlich der Straßenkreuzung, auf Sprungtiefe und setzten ein Infanterie- und ein Pionierbataillon an Fallschirmen in dem Rücken der deutschen Truppen ab. Pioniere mit Flammenwerfern und Sprengladungen, mit Minenwerfern und zusammensetzbaren leichten Geschützen.
Im gleichen Augenblick, in dem die englischen Luftlandetruppen den Himmel mit weißen Wolken überzogen, schlug Tedders viermotoriger Kampfverband zu. Pausenlos kreisten die Pulks über Battipaglia und Persano, über Eboli und Salerno, über Avellino und den Stellungen der deutschen Divisionen. Keine Straße wurde vergessen, kein Paß bei Salerno, kein Verbindungsweg, keine Senke, kein Flußlauf … metergenau, nach besten Karten, wurden die Gebiete abgeflogen und mit Bomben belegt.
Gegen
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