Sie fielen vom Himmel
Sele-Brücke ging auch der junge Ersatz des Leutnants von der Breyle zugrunde. Bevor die Fallschirmjäger der 32. Airborne über dem Landekopf Salerno absprangen und Tedders Geschwader und Cunninghams Schlachtschiffe die Erde umpflügten, sprach Jürgen noch einmal mit seinem Vater. Es war ein kurzes Gespräch.
»Vater?«
»Mein Junge?« Major von der Breyle preßte die Lippen zusammen. »Wieder defätistische Gespräche, jetzt mitten in der Nacht?«
»Nein, Vater. Ich wollte mich von dir verabschieden.« Die Stimme Jürgens schwankte. Major von der Breyle spürte, daß er plötzlich zitterte. Er lehnte sich zurück und befahl sich Haltung. Aber sie mißlang ihm, der Hörer an seinem Ohr schwankte.
»Red keinen Unsinn, Jürgen!« Breyles Stimme war belegt. »Wohl schlecht geträumt, was?«
»Nein, Vater. Ich habe jetzt die Briefe fertiggeschrieben, an die Mütter, Vater, an die 183 Mütter meiner gefallenen Jungen. An Mütter wie unsere Mutter, Vater. An Mütter, die weiß werden, wenn sie meine Zeilen bekommen. Die den Krieg verfluchen, die Erde, das Leben, Gott und mich, den Leutnant, der ihre Söhne in den Tod kommandierte. Ich habe die Briefe fertig, sie gehen morgen ab … und nun kann ich nicht mehr, Vater.«
Major Breyle schloß die Augen. Die trostlose, weltverlorene Stimme seines Sohnes riß eine Wunde in ihm auf. »Ich komme zu dir, Jürgen«, sagte er gepreßt. »Warte auf mich, mein Junge … in drei Stunden bin ich bei dir …« Er wollte weitersprechen, aber die Verbindung riß ab. Er hörte ein Krachen in der Leitung, dann war sie tot. »Jürgen!« schrie er. »Jürgen!!« Er rüttelte an dem Hörer, er schüttelte den Apparat, er drehte an der Kurbel, rasend, wie irr, mit leeren, entsetzensweiten Augen.
»Jürgen …«, stammelte er. »Mein Gott … Junge, Junge … Was ist denn los …«
Da krachte es auch bei ihm, das Haus schwankte, der Boden schaukelte, Feuerschein huschte durch das Fenster. Die Tür wurde aufgerissen, Oberst Stucken stürzte ins Zimmer. »Sie werfen Fallschirmjäger ab!« schrie er. »Hinter unseren Linien! Breyle, sie ahmen unser Kreta nach! Übernehmen Sie den Stab und den Divisionstroß. Ich werde die erste Welle aufzuhalten versuchen!«
Ein neuer Bombeneinschlag ließ das Haus schwanken. Oberst Stucken rannte aus dem Zimmer. Von draußen hörte man sein weithallendes Organ. Er stellte einen Stoßtrupp zusammen. Starr, wie verloren, stand Major von der Breyle im Zimmer, den schweigenden Hörer des Telefons noch in der Hand. »Jürgen«, sagte er leise. Es war, als sei es nicht seine Stimme. Sie klang so kläglich, weinerlich, kindlich. »Mein Gott – Jürgen …«
Ein neuer Einschlag neben dem Haus warf ihn zu Boden. Der Luftdruck riß die Fenster heraus und schleuderte die Möbel gegen die Wände.
Vom Himmel schwebten die Fallschirmjäger … 1.900 Mann für 1,2 qkm.
Oberst Hans Stucken lag auf der Erde, die Maschinenpistole vor sich. Neben ihm brannte ein Stall. In den Flammen schrien die Kühe, sie zerrten an den glühenden, eisernen Ketten. Ein Trupp deutscher Fallschirmjäger rannte nach vorn. Major v. Sporken, der Ia der Division, warf sich neben Stucken in den Dreck. Vorschriftsmäßig hatte er die Kartentasche mit.
»Hauptmann Gottschalk hat bereits Feindberührung!« schrie er Stucken ins Ohr. »Er umgeht Persano in Richtung Battipaglia.«
»Und die anderen?« schrie Stucken zurück.
»Sie graben sich ein!«
Die 38-cm-Granaten der ›Valiant‹ zerhämmerten das Haus, das Stabsgebäude der Division. Major von der Breyle stürzte durch die Einschläge, in Sprüngen arbeitete er sich zu Stucken vor und warf sich dann neben ihn.
Der Oberst sah zu ihm hin. Verwundert hob er den Kopf. »Was haben Sie denn da in der Hand, Breyle?« fragte er.
Breyle starrte auf seine Hand. Sie hielt noch den abgerissenen Hörer des Telefons umklammert. Ein Zucken lief über sein Gesicht, er legte den Hörer auf die bebende Erde und deckte wie schützend seinen Arm darüber.
»Ich habe zum letztenmal mit meinem Jungen gesprochen, Herr Oberst.«
Stucken nahm den Kopf herunter, eine neue Granate heulte heran. Der Krieg ist eine Gemeinheit, dachte er. Er ist die abgrundtiefste Gemeinheit der Menschheit. Aber wir können ja nichts dafür, Breyle … Sie nicht und ich nicht … Wir sind nur die Opfer.
Neben ihm riß die Erde auf …
Als nach zwei Tagen das Hämmern der Bomber und Schlachtschiffe abflaute und die amerikanische 5. Armee sich fest bei Salerno verankert hatte,
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