Sie fielen vom Himmel
heißt es in der Schießlehre – ansprechen kann! Hundert Meter vor uns, im Kusselgelände, ansteigend, ein Mann. Visier 150 Meter, stehend freihändig … Drei Schuß frei. Feuer! Man mußte ihn treffen, es war eine Schande, vorbeizuschießen. Es gab kein besseres Ziel als diese wankende, müde, dunkle Gestalt, die durch den Schnee humpelte. Major von der Breyle schoß.
Er schob den Lauf empor in den blassen, schneeschweren Himmel und schoß. Ein Feuerstoß … zwei … drei hinein in die Wolken, in den Wind, in die tanzenden Flocken. Gott, schrie es in ihm. Gott – ich schieße auf dich! Ja, auf dich, Gott! Auf dich! Komm herunter von deinem Thron! Wach auf, wenn du schläfst! Ich schieße dich wach! Ich schieße dich herab! Selig sind, die Verfolgung leiden, denn das Himmelreich ist ihrer, hast du einmal gesagt. Selig sind die Friedfertigen … Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben … Vergeben … Mein Gott – vergib mir …
Er schoß in den Himmel, in den wirbelnden Schnee … blindlings, mit starren Augen, wie ein Irrer, ein Amokläufer, in den Wind hineinschreiend vor Qual und Schmerz. Auf dem Hang verschwand die taumelnde Gestalt zwischen zerklüfteten Felsen und verschneiten Büschen. Von der Breyle starrte auf die Stelle, hinter der sie untertauchte. Er setzte die Waffe ab und ließ sie auf den Boden fallen. Zischend schmolz unter dem heißen Lauf der Schnee zu einer breiigen Lache.
Um die Ecke, in die Schlucht hinein, rannte keuchend die Gruppe Maaßen. Theo Klein erreichte als erster den verschneiten Kübelwagen und rutschte zwei Meter mit den Armen um sich schlagend durch den Schnee, weil er im Lauf den Major erkannte und versuchte, Haltung anzunehmen. Kurz vor von der Breyle kam er zum Stehen, wie eine gebremste Lawine, und schlug die Hacken zusammen.
»Herr Major haben geschossen?« Er blickte kurz auf die im Schnee liegende Maschinenpistole, unter deren heißem Lauf noch immer der Schnee schmolz. Maaßen und Küppers rannten heran, während Müller 17 und Bergmann zu beiden Seiten die Hänge sicherten.
Von der Breyle sah Theo Klein an wie ein Wesen aus einer fremden Welt. Ein großes, breites Gesicht, ein runder, randloser Stahlhelm, ein Knochensack … Der Major atmete tief auf, als erwache er aus einem Zustand völliger Erstarrung. »Ich habe gedacht, jemanden zu sehen«, sagte er abgehackt. »Vielleicht war es nur ein Fuchs. Kämmen Sie hier das Tal weiter durch …« Er stockte und sah den Hang neben sich hinauf. »Auf die Höhe brauchen Sie nicht, da setzte ich einen anderen Trupp ein! Danke!« Er führte die Hand zum Kopf und bemerkte erst jetzt, daß er ohne Helm im wirbelnden Schnee stand. Theo Klein starrte ihn verblüfft an. »Gehen Sie schon!« schrie von der Breyle. »Hauen Sie ab, Mann!«
Die Gruppe Maaßen zog durch den Schnee weiter. Von der Breyle wartete, bis sie aus seinen Augen entschwunden war, dann kletterte er noch einmal den Hang empor und fand seinen Helm neben dem Gebüsch, an dem Jürgen gestanden hatte. Der Boden war mit frischem Schnee bedeckt, aber durch die losen Flocken schimmerten noch die Blutflecke hervor. Jürgens Blut. Von der Breyle bückte sich und schob die frische Schneedecke fort. Er tastete mit der Hand über die braunroten Flecke.
Sein Kopf sank tiefer. Er weinte wieder …
Theo Klein stapfte mißmutig durch den Schnee. Der Anpfiff des Majors kränkte ihn. Er schob sich an Maaßen heran und verzog die Nase. Sein rotes Gesicht war voll Zorn.
»So zu brüllen!« murrte er beleidigt. »Nur, weil er vorbeischoß! Menschenskind – auch ein Major kann sich mal irren …«
Am Abend, nach dem Sammeln der Suchtruppen, fehlte der Obergefreite Felix Strathmann. Feldwebel Maaßen und Feldwebel Lehmann III hatten ihn noch gesehen, wie er vorschriftsmäßig sichernd seinen Streifen abschritt.
»Der hat sich verlaufen«, meinte Heinrich Küppers und rauchte eine Zigarette an. »Vielleicht hockt er jetzt bei irgendeiner Infanteriegruppe, frißt Gulasch mit Nudeln und erzählt dicke Sachen aus St. Pauli!«
Major von der Breyle hatte keine Lust, die Nacht wartend im Schnee und aufkommenden Sturm zu verbringen. Er hatte andere Pläne für seine Zukunft, ganz andere Pläne, als sich mit einem verlaufenen Obergefreiten herumzuärgern. Er wollte das Ruder herumwerfen, völlig, so wie man auf einen anderen Kurs geht, weil der alte voller Klippen und Eisberge ist und den Rumpf des Schiffes aufschlitzen könnte.
»Abrücken!« kommandierte er. »Die Gruppe
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