Sie fielen vom Himmel
Putzlappen, mit dem man die Latrine wischt!«
»Die Uniform! Sie ist eure Seligkeit, sie ist euer Halbgott! Wie heißt es im Grußreglement? Nicht der Mann wird gegrüßt, sondern der Dienstrang und die Uniform! Uniformen, stolz hinter der Fahne. Parademarsch! Diiiie Augen – links! Kerls, die Knie gerade, die Brust 'raus, das Kreuz hohl! Man darf den Arsch nicht sehen beim Parademarsch! Und vorneweg die Fahne … Die alten Fahnen und die neuen! Wie heißt es? Ja, die Fahne ist mehr als der Tod! Mehr, Herr Major von der Breyle, mehr als der Tod! Eine Fahne! Ein Lappen von einigen Quadratmetern Stoff! Aber der Kaiser hat sie geweiht, und der Führer hat sie geweiht … sie haben sie angefaßt, die erlauchten Hände. Sie haben sie gegrüßt … das ist mehr als der Segen des Papstes! Mehr als der Tod! Mit Hurra in den Tod … hinter der Fahne her. Langemarck! Das Heldenlied der deutschen Jugend! Sie starben mit ›Deutschland, Deutschland über alles‹ auf den Lippen und stürmten ohne Artillerievorbereitung … Abiturienten, Studenten … Und die Nation war stolz, sie setzte Denkmäler, sie warf sich in die Brust: Ja, Langemarck! Unsere Jungen! Was, das sind Kerle! Die singen, wenn die Kugeln pfeifen! Hurra den Kerlen! Hurra! Hurra! Und keiner ist da, der ihnen entgegenschreit: Das war ja Wahnsinn, das war ja Mord! Ihr glorifiziert den Mord, ihr heftet ihn an die Fahnen, als ein Vorbild! An die Fahnen, die mehr sind als der Tod! Ich habe meine Jungen gesehen, wie sie zusammengeschossen wurden … da unten, im Süden, an der Sele-Brücke. Ich rief dich an, ehe ich in die Berge ging, die Verbindung wurde zerstört … Ich hatte genug, Vater, ich hatte nicht mehr die Kraft, Totengräber zu sein! Aber ich hatte die Kraft, gegen diesen Irrsinn zu kämpfen! Gegen das falsche Pathos eurer Vaterlandsretter-Ehre, gegen die Borniertheit eurer Clique … gegen den Kasinogeist, der an der Front die Humpen schwingt, wenn das Blut fließt für die Ehre der Nation!«
»Halt jetzt den Mund!« Major von der Breyles Faust kam wieder hoch und schlug zu.
Dieses Mal hob auch Jürgen die Hand und wehrte den heftigen Schlag ab.
»Jetzt stehen wir an anderen Fronten – nicht mehr Vater und Sohn, sondern Major und Deserteur. Exekutator und Partisan! Schlächter und Opfer!«
»Und ich habe gedacht, du seist gefallen …« Von der Breyle sah hinauf in den fahlen Himmel. Dicht hingen die Wolken herab … es würde wieder schneien … tagelang, wie eine Illusion des Friedens. »Ich habe Mutter geschrieben, daß du gefallen bist wie ein Held.«
»Wie ein Held!« Jürgen riß den Ärmel auf. Aus seinem Oberarm quoll noch immer Blut. Er brannte jetzt und klopfte wie mit tausend Hämmern. »Das ist euer Trost, das ist eure Welt, in die ihr euch zurückzieht: Wie ein Held! Der deutsche Junge muß ein Held sein. Ist er's nicht – weg mit ihm! Der Schlappschwanz! Die Schande der Nation! Der Kerl denkt ja! Der Himmelhund hat ja seine eigene Meinung! Was denn, was denn – sterben soll er wie ein Held, aber nicht denken! O Vater, wie hohl seid ihr doch. Wie eine taube Nuß. Nur Schale und Farbe.« Er schwieg erschöpft.
Von der Breyle wandte den Kopf zur Seite, er konnte seinen Sohn nicht mehr ansehen. »Ich muß dich erschießen«, wiederholte er leise.
»Wenn du es verantworten kannst …«
Major von der Breyle nickte. »Ich kann es, Jürgen … ich kann es vor mir und meinem Gewissen! Du bist ein Schuft, ein erbärmlicher Schuft, der durch seine Taten Hunderten deutschen Soldaten den Tod brachte! Das ist eine moralische Rechtfertigung, auch vor Gott, Jürgen! Auch vor Gott!« Seine Stimme brach wieder und wurde kläglich. »Aber wie soll ich es deiner Mutter sagen? Was soll ich ihr sagen? Soll ich ihr von Kriegsrecht erzählen, von Offiziersehre? Sie würde es nie verstehen, nie! Du hast mein Kind ermordet, wird sie mir entgegenschreien. Du bist ein Mörder! Mörder! Sage einer Mutter, ihr Kind sei ein Lump … sie wird antworten: Aber es bleibt mein Kind! Das sagen sie alle – und ich soll zu ihr gehen und ihr sagen: Elise, ich habe unseren Jungen erschossen. Unseren einzigen. Unsern Jürgen! Er war ein Verräter! Das soll ich sagen? Zu Mutter?! O mein Gott … mein Gott …« Er drehte sich weg und weinte. Schluchzen schüttelte den schweren Körper. Das Kinn war auf seine Brust gesunken, mit hängenden Armen stand er im Schnee und eisigen Wind und weinte.
»Ich war so stolz auf dich«, stammelte er. »Ich könnte dir eine Pistole
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