Sie fielen vom Himmel
geben, so, wie man einem Offizier die Regelung seiner Ehre selbst überläßt. Aber ich weiß, daß du dazu zu feige bist! Du würdest dich nie erschießen!«
»Nein, Vater.«
Von der Breyle nickte, sein Kopf wippte auf dem Hals, als sei er an einer Spirale befestigt. »Erbärmlich«, flüsterte er.
»In deinen Augen, Vater. Aber ich will weiterleben, um gegen diesen Krieg zu kämpfen. Ich will sabotieren, ich will die Benzinnachfuhren in die Luft jagen, ich will die Munitionskolonnen stoppen und die Divisionen mit Flugblättern überschütten. Macht Schluß! will ich schreien. Wollt ihr den Nationalsozialismus am Monte Cassino verteidigen? Seid ihr bereits soweit? Gegen wen kämpft ihr denn? Warum kämpft ihr denn? Verteidigt ihr die Heimat? Haltet ihr so den Sturm aus dem Osten auf, nachdem ihr den roten Koloß geweckt habt? Ihr geht zurück … erst Smolensk, dann Kiew … dann Orscha … immer weiter wird es zurückgehen, weil ihr ausgeblutet seid … in Afrika, am Balkan, in Griechenland, in Italien, auf Kreta, in Norwegen … Habt ihr ein Ideal, für das ihr sterben wollt? Kommen die Amerikaner, um eure Frauen und Töchter zu schänden? Glaubt ihr, daß die Engländer mit Frauen eine Eismeerstraße bauen werden? Es sind Menschen wie du und ich, Kamerad! Sie haben die gleichen Gedanken, die gleichen Gefühle, die gleiche Sehnsucht, nach Hause zu kommen zu ihren Frauen und Kindern, Brüdern und Müttern! Wer will denn den Krieg?! Du oder ich?! Hat man dich gefragt, Kamerad? Oder dich, Vater? Vater! Jetzt rede ich mit dir! Gib mir eine Antwort, eine klare, präzise Antwort. Hat man dich gefragt, ob du einen Krieg willst?! Und warum führst du Krieg?! Sage nicht, um die Heimat zu schützen! Wer hat sie denn angegriffen?«
Major von der Breyle fuhr herum. Das Gesicht seines Sohnes glühte fanatisch. Er hatte die Hand auf den zerschossenen Oberarm gepreßt, zwischen seinen Fingern rann das Blut den Arm hinunter und tropfte in den Schnee. Die zerfetzte Hose über der Schenkelwunde war verharrscht und steif. Sie blutete nicht mehr, der kalte Wind ließ das Blut erstarren. »Ich bekam ein Kommando und gehorchte!« sagte von der Breyle hart.
»Ohne zu denken?«
»Ich setze voraus, daß dies die oberste Führung für mich tut! Unser Blick für die politische Weltlage ist begrenzt, er ist eine Froschperspektive. Wir sehen und denken nur regional, vom Blickwinkel unseres Schreibtisches aus. Und wir denken zu privat, eingefangen in die Sphäre des eigenen Bürgertums, das sich zwischen Essen, Trinken, Arbeiten, Fortpflanzen und Schlafen erschöpft … die kulturellen Ambitionen, die Lektüre einer Zeitung, eines Buches, der Besuch eines Kinos oder Theaters sind nur der Stuck, ein verbrämendes Rankenwerk an der glatten und gut getünchten Mentalität des Bürgers. Was weiß er von den politischen Spannungen, von den großen geschichtlichen Strömungen mehr als das, was er gerade im Generalanzeiger liest und am Stammtisch diskutiert! Willst du mir diese Dumpfheit einer Plüschmöbelmoral als Vorbild hinstellen? Ich habe als Offizier zu gehorchen, und ich ging in den Krieg mit dem Bewußtsein, daß meine oberste Führung ihre Gründe hat, einen Krieg zu verkünden. Ich beugte mich der weiteren Sicht … bedingungslos, bedenkenlos, treu dem Eid auf mein Vaterland.«
Jürgen nickte. »Schon wieder die Fahne, die mehr ist als der Tod! Immer im Kreis herum, Vater, immer im Kreis! Nur nicht ausbrechen aus diesem Hippodrom subalterner Denkschablonen! Nur immer brav strammstehen, jawoll schreien und den Arsch zusammenkneifen, wenn der Herr Oberst brüllt und anderer Meinung ist. Der Herr Oberst oder gar der Herr General haben immer recht … sie haben zwei Sterne mehr auf dem Spiegel, und der Herr General sogar ein goldenes Eichenlaub, rote Streifen an den Hosen und rote Aufschläge am Mantelkragen! Allein das repräsentiert besseres Wissen, das ist ein Abzeichen, recht zu haben! Zwei Sterne mehr auf den Schulterstücken, und das Gehirn des Titanen hat direkte Verbindung zum Olymp. So war es doch gedacht, Vater?« Er sah ihn Antwort heischend an.
Major von der Breyle schüttelte müde den Kopf. Er rieb die gefrorenen Tränen aus den Augenwinkeln und knöpfte seinen Waffenrock und die Kombination zu.
»Auch damit kommen wir nicht weiter in der Welt! Nicht die Revolutionäre des Geistes siegen, sondern der reale Verstand. Nicht St. Just, sondern Robespierre! Nicht Marquis Posa, sondern Herzog Alba!«
»Ein treffender
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