Sie fielen vom Himmel
abendländische Kultur vor seinen Augen zugrunde, als erlebe er den geschichtlichen Augenblick, jenes Wimpernzucken der Menschheit, das nur in Abständen von Jahrhunderten sich vollzieht und das Antlitz des Menschen verändert. Die Langobarden, konnte er noch denken, während neben, über, unter und um ihn der Berg aufriß wie ein Vulkan, der seine Lava nach allen Seiten in die Luft schleuderte und rund um seinen Körper Krater bildete wie eine Kolonie reifer und platzender Furunkel. Die Vandalen, die Hunnen, die Türken, die Truppen Medicis, die Söldner der Condottieri, die Heere Napoleons und jetzt die christlichen Soldaten der 5. amerikanischen Armee – sie haben den Abdruck ihres Fußes hinterlassen, auf dem Teppich abendländischer Kultur, auf dem Glauben unseres erlösenden Christentums, das Liebe predigt, Vergebung, Gnade und Bruderschaft aller Völker. Die Bomber, die ihre entsetzliche Last aus dem Himmel schleudern, hinab auf das Heiligtum Benedikts, die die Basilika zerstören, den Prioratshof, die Loggia del Paradiso, den Zentralhof, den Hof der Wohltäter, die Bibliothek, das Kolleg, die Mauern, die weithin in das Land grüßen wie eine Insel inmitten einer wilden, aufbrandenden Welt, diese surrenden, silbern in der Sonne gleißenden Maschinen wurden vielleicht von einem Priester gesegnet, ehe man sie in Dienst stellte, und ihre Piloten, Funker und Bombenschützen haben am vergangenen Sonntag in einem Feldgottesdienst um die Gnade Gottes gebetet, diesen schaurigsten Krieg aller Zeiten überleben zu dürfen. Und nun werfen sie den Tod auf Gott, den sie um ihr eigenes Leben baten!
9.45 Uhr.
Neben v. Sporken lag Oberst Stucken und hatte noch immer die Papiere in der Hand, die Verlustmeldungen des 2. Bataillons, das er anrufen wollte. Von der Breyle hockte an der gegenüberliegenden Wand. Er war totenbleich. Sein merkwürdig ausdruckslos gewordenes Gesicht über der schmutzigen Kombination und dem Uniformkragen, den er über den Kragen des Knochensackes gezogen hatte, war in den Himmel gerichtet und starrte die summenden viermotorigen Maschinen an. Sein Gefühl für den Untergang Monte Cassinos war tot. Er war leergebrannt, apathisch fast. Ein Mensch, der innerlich mit seiner Umgebung, seiner ganzen Welt schon abgeschlossen hatte und nur deshalb noch lebte, weil das Schicksal ihm bisher noch nicht die Chance geboten hatte, das Leben so wegzuwerfen, daß es als eine Ehre angesehen wurde. Standesgemäß sterben, eingedenk des Fahneneides und der Haltung seiner Uniform gegenüber, die silberne geflochtene Schulterstücke trug und ihn verpflichtete, so zu sterben, daß der Name von der Breyle in einem ehrenden Gedenken verblieb …
Er wußte in dieser schrecklichen Stunde am Monte Cassino, in der der weiße Bau auf der Kuppe zusammenstürzte und Skulpturen, Bildwerke, Bronzetüren und die Leiber schreiender Frauen, Kinder und Greise in die durch Staub- und Erdwolken zu einem Nebel gewordene Luft wirbelten, daß dieses Werk der sinnlosen Zerstörung von seinem Sohne unterstützt wurde – nicht, indem er mit erbeuteter Artillerie hineinschoß in die Trümmerberge, sondern still, heimlich, aus dem Dunkel zuschlagend und den Mächten helfend, deren sichtbare Macht vor ihm die Welt zerstampfte. Er duldete es, er war ihr Handlanger, ihr Sklave, ihr Bettgenosse beim Traum um die Befreiung der Erde von deutschem Militarismus und nationalsozialistischer Dämonie. Wie hatte Jürgen gesagt: Verteidigt ihr euren Nationalsozialismus in Italien? Ist es schon so weit gekommen? Ja, Jürgen, ja … aber ich könnte zurückfragen, gerade jetzt, in dieser Minute, wo die Basilika einstürzt und die Flugzeuge deiner Freunde hinuntergehen auf Schußhöhe und auf die durch die Trümmer den Berg hinabflüchtenden Frauen und Kinder mit Maschinengewehren schießen und unten, vom Tal aus, die Artillerie aller Kaliber die Trümmer durchwühlt und Nebelgranaten schießt, in deren Dunst die schreienden, vor Angst und Grauen irrsinnigen Menschen verbluten oder von Splittern zerfetzt werden … gerade jetzt könnte ich fragen: Ist das die Verteidigung eurer Kultur gegen den deutschen Vandalismus, wie ihr es nennt?! Wollt ihr das Chaos ausrotten durch ein noch größeres Chaos? Wollt ihr der Menschheit gegenüber sein wie die afrikanischen Farmer, die einen Steppenbrand besiegen, indem sie einen noch größeren Steppenbrand der Feuersäule entgegenlaufen lassen und zwischen diesen Feuern Tausende von Tieren lebendig verbrennen?! Denn es
Weitere Kostenlose Bücher