Sie haben mich verkauft
sagen.«
Ich schnappte nach Luft. Es stimmte also. Aber das war ja furchtbar! Ich war stinkwütend. »Und was dann?«, schrie ich. »Fütterst du den Kleinen jeden Tag; kümmerst du dich um ihn, legst du Geld auf den Tisch, wenn du meinen Mann umgebracht hast?«
Aziz runzelte die Stirn und schwieg.
»Nein? Also wie soll ich dann existieren? Wie soll der Kleine was zu essen bekommen, wenn ich keinen Mann habe, der Geld nach Hause bringt, und auch sonst keinen, der sich um das Kind kümmert, während ich für dich arbeite? Begreifst du nicht, was du angerichtet hast? Jetzt kann ich nie mehr herkommen, und mein Mann wird mich wahrscheinlich dafür umbringen.«
»Nein, Oxana, bestimmt nicht. Bleib hier, dann bist du in Sicherheit. Ehrenwort.«
»Das geht nicht.« Zitternd vor Wut drehte ich mich um und stürmte aus dem Café. Aziz mochte ja gedacht haben, er könne mich auf diese Weise beschützen, aber das war noch nicht das Ende – das war erst der Anfang. Eines wusste ich ganz sicher: Sobald Sergej mit mir allein wäre, würde er sich rächen.
Ich wartete, wie man auf eine Bombenexplosion wartet, nachdem Sergej nach der einen Woche Krankenhaus nach Hause gekommen war. Ich wusste nicht, was die Explosion auslösen würde, aber dass sie bald kommen würde, wusste ich genau. Ich wurde immer ängstlicher, und er schwieg. Es war, als sei nichts geschehen, und beide erwähnten wir Aziz und das Café nicht. Doch die Erleichterung darüber, dass ich nicht geschlagen worden war, wenn ich zu Bett ging, wich der Angst, wenn das Warten am Morgen darauf von Neuem begann.
Ich vermisste die Arbeit im Café – das Geld, das ich verdiente, das Essen, das wir hatten kaufen können, die Menschen,mit denen ich Freundschaft geschlossen hatte –, doch ich konnte nicht zurück zur Arbeit gehen. Meine Tür zu einer neuen Welt war zugeschlagen, und ich war auf der anderen Seite so gefangen wie eh und je. Marina kam mich nach wie vor besuchen, und sie brachte ein bisschen Geld und ein paar Lebensmittel, wann immer sie konnte, aber über das, was passiert war, sprachen wir nicht. Ihr Leben war ganz anders als meines, und mein Leben wollte ich vergessen, wenn ich mit ihr zusammen war.
Aber als sich die Tage zu Wochen dehnten, fragte ich mich allmählich, ob Aziz nicht womöglich doch recht gehabt hatte. Mir war immer schon klar gewesen, dass Sergej vor anderen Männern Angst hatte, und vielleicht genügte ja die Angst vor dem, was womöglich wieder passieren könnte, um ihn von mir fernzuhalten. Sicher war ich nicht, aber wie eine Schauspielerin, die eine Rolle spielt, gab ich ihm Sex, wann immer er wollte, sagte kein einziges Wort, wenn er zum Trinken wegging, und erwähnte nie etwas davon, dass ich mir Arbeit suchen wollte. Es war alles wieder so, wie es immer schon gewesen war, und wenn ich auch nicht glauben mochte, dass Sergej so leicht vergaß, machte ich mir doch Hoffnungen, dass er mich vielleicht in Ruhe lassen würde.
Ein paar Wochen nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus zogen wir endlich zu Sergejs Schwester Ira und deren Mann Alex von der Sommerküche ins Haupthaus. Die Mieter waren ausgezogen, und Ira hatte das Haus für uns renoviert. Ich mochte sie. Sie und Alex hatten einen Marktstand, an dem sie Hochzeitskleider verkauften, und weil sie keine eigenen Kinder bekommen konnten, nahmen sie ihre Nichte Vica zu sich, nachdem deren Mutter Selbstmord begangen hatte.
Sie führten ein schönes Leben, und es fühlte sich beinahe an, als sei ich wieder Teil einer Familie. Unser neues Zuhause mochte ja kein fließendes Wasser haben und auch keine Innentoilette,aber es gab ein richtiges Dach aus Wellblech, geweißte Wände und rötlich braune Dielen. Das Haus hatte ein Wohnzimmer, in dem Vica schlief, und zwei Schlafzimmer – eines für Ira und Alex, das andere für Sergej, Sascha und mich. Aber wenn es mir auch Spaß machte, abends mit Ira zusammenzusitzen, war ich mir doch nicht sicher, ob ich ihr wirklich vertrauen konnte. Schließlich war sie ja immer noch Sergejs Schwester, auch wenn sie ihn nicht sehr zu mögen schien. Aber sie war wirklich sehr nett – sie gab Sascha und mir etwas zu essen, wann immer sie konnte, und kümmerte sich um ihre Nichte Vica, wo sie das Mädchen doch leicht ins Waisenhaus hätte stecken können, wie ich das mit Pascha gemacht hatte.
Meinen kleinen Pascha hatte ich natürlich nicht vergessen. Ich dachte ständig an ihn, aber obwohl ich mich danach sehnte, ihn zu sehen und im Arm zu
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