Sie haben mich verkauft
mit meinen Kleidern und meinem Pass. Der Taxifahrer hatte mich hier abgesetzt, nachdem ich angefangen hatte zu weinen. Die Fahrt hatte mich all mein Geld gekostet. Ich besaß keinen Pfennig mehr. Mein Herz klopfte – was würde jetzt mit mir passieren, allein in dieser fremden Stadt?
Weinend und zitternd machte ich mich auf den Weg, Gesichter und Gebäude glitten als ein einziger verschwommener Fleck an mir vorbei. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich gingund ob ich je wieder aufhören konnte zu gehen. Alles war so anders hier als zu Hause – die Schrift auf den Schildern, die Kleidung, die die Leute trugen, sogar deren Haar- und Augenfarbe. Diese Stadt war so voll von Lärm, Gerüchen und Menschen. Ich fühlte mich, als würde ich ertrinken.
Panik stieg in mir auf. Was war ich doch dumm gewesen; so weit weg von zu Hause war ich, und womöglich könnte ich nie wieder zurück. Was sollte ich denn nur tun ohne Geld und ohne Freunde, die mir hätten helfen können? Niemals hätte ich herkommen sollen, und erst recht hätte ich nicht glauben dürfen, dass ich mein Leben ändern könnte. Ich wusste nicht, wohin ich mich wenden, wohin ich gehen sollte.
Plötzlich hörte ich etwas auf Russisch. Jemand sprach meine Sprache, und ich folgte der Stimme bis zu einem Laden, vor dem eine Frau stand und die Leute hereinrief.
»Hier gibt es die günstigsten Rabatte!«, rief sie. »Kommen Sie, schauen Sie sich um! Kein Kaufzwang!«
Ich blieb stehen und sah sie an. Tränen und Schmutz verschmierten mir das Gesicht, und mein Atem ging stoßweise.
»Was ist denn los?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Ich fing an zu weinen. »Man hat mir gesagt, ich würde hier in einer Fabrik Arbeit finden, aber das stimmt gar nicht. Jetzt bin ich allein und weiß nicht, was ich machen soll.«
»Beruhigen Sie sich doch«, sagte die Frau und kam auf mich zu. »Ich verstehe Sie ja kaum. Kommen Sie doch herein.«
Im Laden war es dunkel und kühl, und die Frau führte mich in ein kleines Hinterzimmer. Ich erzählte ihr von meinem Leben in Simferopol und von meinem Gespräch mit Yula und davon, wie sie mich belogen hatte. Jetzt war ich weit weg von zu Hause und von meinen Kindern. Ohne ein Wort zu sagen, hörte die Frau zu, als ich ihr erzählte, was mir passiert war.
»Warte hier«, sagte sie, stand auf und ging nach vorn in den Laden, wo sie auf Türkisch mit einem Mann redete. Ein paar Minuten später kam sie wieder und sah auf mich herab. »Geld für ein Flugticket nach Hause kann ich dir nicht leihen«, sagte sie. »Aber heute Nacht kannst du bei mir schlafen, und dann finden wir vielleicht irgendeine Arbeit für dich, und du kannst anfangen zu sparen.«
Ich starrte sie an. »Danke«, flüsterte ich und stand auf.
»Ich helfe dir gern – das täte ich für jeden«, sagte die Frau und lächelte mich freundlich an. »Ich heiße Genia.«
KAPITEL 11
A ls ich am nächsten Morgen aufwachte, dankte ich Gott, dass er mich zu Genia geführt hatte. Ohne Geld konnte ich nicht in die Ukraine zurück, und sie hatte gesagt, sie würde mir helfen, einen Job zu finden. Bald arbeitete ich mit ihr in dem Lederwarengeschäft, in dem ich sie kennengelernt hatte. Die Arbeitszeit war lang, und etwas an Touristen zu verkaufen, die draußen vorbeigingen, war hart, aber man zahlte mir sechzig Dollar die Woche – eine Summe, für die ich in der Ukraine einen ganzen Monat arbeiten musste. Es war nicht so viel, wie ich mir erträumt hatte, aber so viel mehr, als ich vorher hatte.
Aber andauernd musste ich an Yula und ihre Lügengeschichten denken. Ich verstand einfach nicht, weshalb sie mich zu einer Adresse geschickt hatte, an der es nichts gab. Als ich mit Genia darüber sprach, begriff ich, dass Yula womöglich etwas zu verbergen hatte.
»Ich glaube, du hast einfach zu viele Fragen gestellt, und sie musste dir irgendeine Antwort geben«, sagte Genia eines Abends zu mir. »Yula hat wahrscheinlich aus dem Gedächtnis irgendeinen Straßennamen genannt, um dich loszuwerden.«
»Aber weshalb sollte sie denn so etwas tun?«, fragte ich.
»Weil sie nicht wollte, dass du die Wahrheit erfährst. Ich habe von vielen Frauen gehört, die erzählen, sie hätten in der Türkei gearbeitet, und in Wirklichkeit haben sie sich verkauft.«
»An Männer?«
»Ja.«
»Für Geld?«
»Ja – für sehr viel Geld«, sagte Genia.
Da verebbte in mir die Wut auf Yula. Wenn sie das wirklich getan hatte, dann empfand ich nur noch Mitleid mit ihr. Bald verdrängte
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