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Sie haben mich verkauft

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Titel: Sie haben mich verkauft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Kalemi
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nicht auch ich?

KAPITEL 10
    M eine Turnschuhe quietschten, als ich auf eine Rolltreppe zuging, die nach oben fuhr. Ich war am Flughafen in Istanbul, und es war eine wunderschöne Stadt – so hell und sauber. Als ich aus dem großen roten Bus stieg, der am Flugzeug auf uns wartete, sah ich zwei Männer, die ein kleines Auto fuhren, mit dem sie den Boden reinigten. Kurz zuvor hatte ich mich gefragt, ob ich jetzt Gott näher war, als ich im Flugzeug gesessen hatte und mein Land kleiner und kleiner hatte werden sehen. Jetzt folgte ich dem Menschenstrom runter von der Rolltreppe.
    Ich konnte kaum glauben, dass ich wirklich in der Türkei war. Vor meiner Abreise schien es fast, als wolle Yula nicht, dass ich fahre – sie wollte mir partout nicht helfen. Doch ich nötigte sie, mir zu erzählen, was ich wissen musste – so viel Glück konnte sie doch nicht für sich behalten! –, und schließlich gab sie mir einen Zettel, auf den eine Adresse gekritzelt war.
    »Da habe ich gearbeitet«, sagte sie.
    Jetzt war ich auf mich allein gestellt. Der Entschluss, meine Kinder zu verlassen, war mir nicht leicht gefallen, doch so ungern ich das auch tat, es gab nur eine Frage, die ich mir stellen musste: Wie konnte ich solch eine Gelegenheit verstreichen lassen und uns für immer der Armut ausliefern? Das war meine zweite Chance im Leben, eine offene Tür, durch die ich einfach nur gehen musste. Ich hatte Angst, war aber gleichzeitig voller Vorfreude. Angst, weil ich in einem fremdenLand war, aber voller Vorfreude, weil ich endlich in der Lage sein würde, Sascha, Pascha und Luda das Leben zu bieten, von dem ich immer geträumt hatte.
    Ständig musste ich an Saschas Gesicht denken. Er hatte geweint, als ich ihn in der offenen Tür früh am Morgen in die Arme genommen hatte. Er roch nach Schlaf, und ich hätte am liebsten mit ihm geweint. Aber ich musste mir einfach immer wieder sagen, weshalb ich fortging.
    »Komm, gib ihn mir«, sagte Ira, als sie ihn hochnahm. Sie würde sich um die Kinder kümmern, und ich würde sie dafür von den Löhnen bezahlen, die ich in der Türkei verdienen sollte.
    Ich brachte kein Wort heraus und traute mich nicht, etwas zu sagen, als ich Sascha ansah.
    »Geh nun«, meinte Ira. »Sieh dich nicht um. Das bringt bloß Pech.«
    Jetzt wünschte ich, ich wäre sicher zu Hause, als ich durch ein paar Türen mitten in eine Menschenmenge trat. So viele Gesichter dort draußen.
    Ira hatte mir Geld für die Taxifahrt zur Fabrik geliehen, und Yula hatte mir erzählt, sie sei nicht weit vom Flughafen entfernt, also wollte ich sofort dorthin und nach Arbeit fragen. Ich stieg in ein Taxi und musste immer wieder aus dem Autofenster schauen. Die Türkei sah aus wie Amerika in all den Filmen, überall Schilder von Burger-Läden, überall moderne Autos und so viele Menschen. So viel Grün gab es da draußen, die Straßen waren eben und gerade, und immer wieder sah ich die Kuppeln herrlicher Moscheen als Silhouette vor dem Himmel.
    »Welche Straße?«, fragte mich der Taxifahrer, nachdem wir etwa fünfzehn Minuten herumgefahren waren.
    Ich verstand genug, um ihm das Stück Papier mit der hingekritzelten Adresse zu zeigen. Er starrte darauf und runzelte die Stirn.
    »Cumhuriyet caddesi?«, fragte er.
    Weiter sagte der Mann nichts, als er wieder anfuhr. Er starrte einfach geradeaus und seufzte. Ich sah auf die Sonne vor uns. Sie stand jetzt niedriger am Himmel, und ich wünschte, er würde schneller fahren. Ich wollte nicht, dass die Fabrik schon dichtgemacht hatte, wenn wir ankamen.
    Bald bogen wir in eine lange, staubige Straße ein und hielten. Ich öffnete die Autotür und stieg aus.
    Ich verstand das nicht.
    Hier gab es nichts.
    »Cumhuriyet caddesi?«, fragte ich und steckte den Kopf ins Taxi.
    »Ja, ja«, sagte der Mann. »Cumhuriyet caddesi.«
    Er musste sich irren. In dieser Straße gab es keine Fabrik – nur ein paar kleine Holzhäuser und einige Marktstände mit Obst. Was war nur los? Wieso hatte er mich hierhergebracht?
    »Cumhuriyet caddesi?«, fragte ich wieder und versuchte, die Panik niederzuhalten, die in mir aufsteigen wollte.
    »Ja, ja!«, rief der Mann und tippte gegen den Taxameter.
    Ich schaute drauf.
    Siebzig türkische Lira.
    Und mehr als hundert besaß ich nicht.
    Mein Herz raste. Wieso hatte mich Yula in eine Straße geschickt, in der es nichts gab? Was sollte ich jetzt tun?
    Zehn Minuten später stand ich auf einer lauten Straße im Zentrum von Istanbul und klammerte mich an eine Plastiktüte

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