Sie haben mich verkauft
Miststück!«, schrie er. »Wofür hältst du dich? Tu, was ich sage.«
Sein Gesicht kam immer näher, und sein Gewicht schnürte mir die Luft ab, als er sich auf mich fallen ließ. Ich gab mir alle Mühe, seinem Mund auszuweichen.
»Küss mich!«, rief er.
Das wollte ich nicht. Das konnte ich nicht. Das durfte ich ihm nicht geben.
Plötzlich spürte ich, wie sich seine Zähne in meine Wange bohrten und seine Hand an meinen Haaren zog.
»Magst du das?«, keuchte er. »Ist es das, was du willst? Geht es dir darum?«
Ich hielt den Atem an, als er in mich eindrang. Ich wollte einfach nur, dass es vorbei war. Ich wollte ihn von mir weghaben. Ich wollte, dass er und all die anderen mich in Ruhe ließen.
Der Mann zitterte, als er auf mir lag und sein Körper gegen mich stieß. Noch einmal krampfte er die Hand um meine Haare und biss mich sacht in die Lippe.
»Ja, das magst du, stimmtʼs?«, fragte er lachend. »Aber vergiss ja nicht – du bist bloß eine Hure. Ich bin hier der, der sich amüsieren darf – nicht du.«
Eines Nachmittags kam ich zur Arbeit und sah eine Neue am Empfang. Sie hieß Naz und sagte, sie sei aus der Türkei.
Irgendwie wusste ich vom ersten Moment an, dass ich ihr trauen konnte. Sie war freundlich, offen und großzügig, und obwohl ich so verschlossen war, wurde ich auf Anhieb mit ihr warm. Vor allem gefiel mir, dass sie mir nicht allzu viele Fragen über mein Leben stellte und mir auch nicht so viel aus ihrem Leben erzählte. Ich wusste nur, dass sie Ende dreißig war, keinen Mann hatte und seit etwa sieben Jahren in England lebte.
Allmählich freute ich mich schon darauf, zur Arbeit zu gehen, und kam immer ein bisschen früher, damit wir zusammen Kaffee trinken und eine Zigarette rauchen konnten. Ich war gern mit ihr zusammen; ich entspannte mich und unterhielt mich mit ihr, wie ich das vor all den Jahren mit Marina getan hatte. Naz war ein guter Mensch – sie sagte nichts, wenn ich mich versteckte, falls ein Kunde hereinkam, den ich nicht mochte, oder deckte mich, wenn ich zu spät zur Arbeit kam und Ali anfing, Fragen zu stellen. So unbehaglich ich mich auch in Gegenwart der anderen Mädchen gefühlt hatte, bei ihr war das anders.
Nach Ardy erkundigte sich Naz erst, nachdem wir uns schon einige Wochen kannten.
»Ich sehe, er wartet jeden Abend auf dich«, sagte sie. »Ist das dein Freund?«
»Nein«, antwortete ich und sagte weiter nichts.
»Arbeitest du für ihn?«, fragte sie leise.
»Ja.«
»Woher kommt er?«
»Albanien.«
Da verstand sie. Nach einer Weile schaute sie zu mir auf. »Also, wie ist es passiert?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich hatte eine Freundin, die mich verkauft hat; ich konnte nicht fliehen.«
In ihrem Blick zeigte sich Traurigkeit, und es war schlimm für mich, ihr Mitleid zu sehen.
»Aber du hast drei Kinder zu Hause«, sagte sie. »Was willst du tun?«
»Ich weiß nicht.«
Naz sagte weiter nichts, und ich war froh darüber. Ich sprach nur äußerst ungern über das, was mir passiert war, ich schämte mich zu sehr und kam mir so dumm vor, dass ich mich derart hatte austricksen lassen. Ich musste wohldie dümmste Frau auf der Welt sein, dass ich all das hatte glauben können, was man mir an Lügen aufgetischt hatte. Aber die Tage vergingen, und ich musste immer wieder an etwas denken, das mir schon lange durch den Kopf ging. Ich hatte versucht, mit den anderen Mädchen darüber zu reden, aber sie verstummten immer, wenn ich Fragen stellte.
»Stimmt es, dass die Polizei einen ins Gefängnis bringt, wenn man illegal in England ist?«, fragte ich Naz eines Nachmittags, als wir zusammensaßen.
»Hat dir dein Zuhälter das erzählt?«
»Ja.«
Sie holte tief Luft. »Die Geschichte höre ich nicht das erste Mal, aber es stimmt nicht, Oxana«, sagte sie. »Hier in England kommst du dafür nicht ins Gefängnis. Wenn sie dich erwischen, könnten sie dich in ein Zentrum für illegale Einwanderer stecken, und von dort müsstest du dann das Aufenthaltsrecht in diesem Land beantragen. Manchmal schicken sie Leute zurück, manchmal lassen sie sie bleiben. Das hängt ganz davon ab. Wieder andere lassen sie laufen, wenn sie sie erwischen; die müssen sich dann einmal in der Woche bei der sogenannten Einwanderungsbehörde melden, bis die Entscheidung gefällt ist. Es gibt viele in England, die nicht hier sein sollten, und die werden wieder nach Hause geschickt, aber wenn du für deine Einwanderung einen guten Grund hast, dann ist dies ein nettes
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